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Mission Walhalla

Mission Walhalla

Titel: Mission Walhalla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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hatte so gut wie keiner Kontakt.
    Die 1910 erbaute Festungshaftanstalt lag anders als der Rest der Stadt am Westufer des Lech: Vier weiße Ziegelgebäude waren in Form eines Kreuzes angeordnet, in dessen Mitte ein Turm stand, von dem aus die stahlbehelmten, steingesichtigen Wachen uns im Auge behalten konnten, während sie ihre weißen Schlagstöcke wirbelten wie Fred Astaire.
    Ich erinnerte mich an eine Ansichtskarte, die ich mal bekommen hatte. Die Rückseite zierte ein Bild von Hitlers Zelle, die, wie ich jetzt feststellen konnte, meiner eigenen nicht unähnlich war: Das Mobiliar bestand aus einem schmalen eisernen Bettgestell, einer Nachttischlampe, Tisch und Stuhl. Das große Doppelfenster war mit mehr Gitterstäben versehen als ein Löwenkäfig. Meine Zelle lag nach Südwesten, sodass ich nachmittags und abends Sonne hatte und außerdem einen hübschen Blick über den Spöttinger Friedhof, auf dem etliche der Männer begraben lagen, die im
War Criminals Prison No. 1
, wie die Amerikaner es nannten – gehenkt worden waren. Das war doch mal ein netter Kontrast zu meinem Blick auf die Bucht von New York. Außerdem machen die Toten im Vergleich zu Müllfrachtern deutlich weniger Lärm.
    Die Verpflegung war in Ordnung, wenngleich es kein deutsches Essen gab. Die Gefängniskleidung gefiel mir hingegen nicht besonders. Grau-lila gestreift hat mir noch nie gut gestanden, und da der kleinen weißen Mütze der unverzichtbare Schirm fehlte, sah ich damit aus wie ein Leierkastenäffchen.
    Kurz nach meiner Ankunft bekam ich Besuch vom katholischen Gefängnisseelsorger Pfarrer Morgenschweis, von Doktor Gawlik, einem Juristen beim bayrischen Justizministerium, und von einem Mann von der Deutschen Gefangenenfürsorge, dessen Namen ich vergessen habe. Die meisten Bayern, und wahrscheinlich auch viele Deutsche generell, betrachteten die Insassen von WCP No. 1 als politische Gefangene. Die US Army sah das selbstverständlich anders, und es dauerte nicht lange, bis ich auch Besuch von zwei amerikanischen Anwälten aus Nürnberg bekam. Ihren starken Akzent und ihre aufgesetzte Jovialität empfand ich als aufdringlich. Es stellte sich heraus, dass sie sich kaum für die beiden Wiener Morde interessierten – mit denen ich nichts zu tun hatte – und überhaupt nicht für die Liquidierung der zwei israelischen Attentäter in Garmisch-Partenkirchen, eine Tat, die ich unbestreitbar begangen hatte, wenn auch in Notwehr. Wofür sie sich jedoch sehr interessierten, war meine Tätigkeit für das Reichssicherheitshauptamt – das RSHA war 1939 durch die Zusammenlegung von SD , Gestapo und Kripo entstanden.
    Wir kamen mehrmals pro Woche in einem Vernehmungszimmer im Erdgeschoss nahe dem Haupteingang des Gefängnisses zusammen. Sie brachten mir immer Kaffee und Zigaretten mit, etwas Schokolade und manchmal sogar eine Münchner Zeitung. Sie waren beide noch keine vierzig, und der Jüngere von ihnen war der Ranghöhere. Er hieß Jerry Silverman, und ehe er nach Deutschland kam, war er Anwalt in New York gewesen. Er war auffällig groß, trug eine grüne Militärjacke aus Gabardine und eine rosafarbene Khakihose. An seiner Brust baumelten etliche Ordensbänder, aber anstatt der Metallbalken, die die meisten amerikanischen Offiziere als Rangabzeichen auf den Schultern trugen, hatten Silverman und sein Sergeant ein Stück Stoff auf den Ärmel aufgenäht, das sie beide als Mitarbeiter des OCCWC auswies – des
Office of the Chief Counsel for War Crimes
, das in Nürnberg als Hauptankläger fungierte. Sie trugen also Uniform, gehörten aber nicht zum US -Militär. Sie waren Bürokraten des Pentagons, Ankläger aus dem amerikanischen Verteidigungsministerium. Nur in Amerika konnte man auf die Idee kommen, Anwälte in Uniformen zu stecken.
    Der Ältere von beiden war Sergeant Jonathan Earp. Er war einen Kopf kürzer als Captain Silverman und hatte – wie er mir in einem ruhigen Moment erzählte – in Harvard sein Juraexamen gemacht, ehe er beim OCCWC landete.
    Beide hatten deutsche Eltern, weshalb sie die Sprache sehr gut beherrschten, wenngleich Earp fließender sprach als Silverman, der mir jedoch cleverer zu sein schien.
    Sie erschienen stets schwer beladen mit Koffern voller Akten, in die sie jedoch kaum einen Blick warfen; sie schienen einen ganzen Aktenschrank im Kopf zu haben. Allerdings machten sie sich stets ausführliche Notizen: Silverman hatte eine akkurate, sehr säuberliche und feine Handschrift, die aussah wie von

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