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Mission Walhalla

Mission Walhalla

Titel: Mission Walhalla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Gunther. Es geht um Paris, nicht? Juni 1940.»
    Vigée runzelte die Stirn. «Was war da?»
    «Er hat versucht, mich ermorden zu lassen», sagte ich.
    «Wusste ich doch, dass es darum geht», sagte Kestner.
    Vigée nickte Richtung Tür. «Kommen Sie», sagte er zu mir. «Ich muss mit Ihnen reden.»
    Ich folgte ihm aus dem Weinkeller, die Treppe hoch und nach draußen in den kleinen ummauerten Garten am Kanal. Vigée zündete für jeden von uns eine Zigarette an.
    «Paul Kestner also?»
    Ich nickte. «Ich könnte mir vorstellen, dass die UN -Kommission für Kriegsverbrechen über seine Festnahme erfreut sein wird», sagte ich.
    «Das kümmert mich einen feuchten Kehricht», schnaubte er. «Wie viele Scheißjuden er umgebracht hat, interessiert mich nicht. Treblinka interessiert mich nicht, Gunther. Oder das Schicksal von irgendwelchen verdammten Zigeunern. Sie sind tot. Schade. Aber nicht mein Problem. Mich interessiert einzig und allein Edgard de Boudel. Kapiert? Ich will den Mann finden, der fast dreihundert Franzosen in Indochina gefoltert und ermordet hat.» Er schrie jetzt fast und fuchtelte mit den Armen in der Luft, packte mich aber diesmal nicht am Kragen, ein Zeichen dafür, dass er bei aller Wut und Enttäuschung vor mir auf der Hut war.
    «Wir fahren also morgen noch einmal nach Friedland ins Lager und gucken uns jeden Mann dort ganz genau an, und wir werden de Boudel finden. Verstanden?»
    «Es ist nicht meine Schuld, dass wir den Falschen erwischt haben», blaffte ich zurück. «Aber ich hatte den richtigen Riecher. Und gesetzt den Fall, Ihre Informationen sind korrekt und de Boudel war wirklich in diesem verdammten Zug, dann muss er auch im Lager sein.»
    «Beten Sie lieber, dass er da ist, sonst kriegen wir beide Ärger. Es geht nicht nur um Ihren Arsch, sondern auch um meinen.»
    Ich zuckte die Achseln. «Vielleicht mach ich das tatsächlich.»
    «Was?»
    «Beten. Beten, dass ich hier für ein Weilchen rauskomme. Weg von Ihnen, Emile.» Ich schüttelte den Kopf. «Ich brauche etwas Abstand. Um einen klaren Kopf zu bekommen.»
    Er schien sich wieder im Griff zu haben und nickte. «Ja. Tut mir leid. Sie haben recht, es ist nicht Ihre Schuld. Hören Sie, machen Sie doch einen Spaziergang durch die Stadt. Gehen Sie ruhig in die Kirche. Grottsch soll Sie begleiten.»
    «Was wird aus ihm? Kestner?»
    «Wir bringen ihn zurück ins Lager. Sollen doch die deutschen Behörden entscheiden, was sie mit ihm machen. Ich hab nämlich keine Zeit für die UN und ihre dämliche Kommission für Kriegsverbrechen. Ich will damit nichts zu tun haben.»
    Er stand auf, murmelte auf Französisch vor sich hin und ging, ehe einer von uns wieder auf die Idee kam, dem anderen eine reinzuhauen.
    Im Haus wartete Grottsch schon auf mich. Er erzählte mir, dass die Tochter des Franzosen krank sei, als wollte er mit dieser Erklärung dessen Verhalten entschuldigen. Wir zogen unsere Mäntel an und traten wieder hinaus in die Herbstsonne. Göttingen wimmelte von Studenten, was mich daran erinnerte, dass meine eigene Tochter, Dinah, inzwischen wahrscheinlich auch im ersten Semester war. Zumindest hoffte ich das.
    Grottsch und ich spazierten ein wenig herum und kamen irgendwann zur Ruine der Synagoge in der Oberen-Masch-Straße, die im November 1938 niedergebrannt worden war, und ich fragte mich, wie viele Göttinger Juden wohl in Treblinka unter Paul Kestner ermordet worden waren und ob neun Jahre in einem russischen Kriegsgefangenenlager wirklich eine ausreichende Strafe für eine Dreiviertelmillion Menschenleben war. Vielleicht gab es auf Erden gar keine angemessene Strafe für ein so gigantisches Verbrechen. Aber wenn nicht auf Erden, wo dann?
    Unsere Schritte führten uns zurück zur St.-Jacobi-Kirche. Ich blieb vor einem Laden gegenüber stehen und sah mir die Auslagen an, und als ich weiterging, merkte ich, dass ich allein war. Ich zögerte und schaute mich nach Grottsch um, doch er war wie vom Erdboden verschluckt. Einen Moment lang spielte ich mit dem Gedanken, die Gelegenheit zu nutzen und zu fliehen. Die Aussicht, das Durchgangslager zu besuchen und von Bingel und Klause entdeckt zu werden, war genauso wenig verlockend wie am Tag zuvor. Aber die Tatsache, dass ich kein Geld hatte und mein Pass in der Pension Esebeck lag, hielt mich davon ab, schnurstracks zum Bahnhof zu eilen. Ich überlegte gerade, was ich als Nächstes tun sollte, als auf einmal zwei Männer mit eleganten kleinen Hüten und kurzen dunklen Regenmänteln auf mich

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