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Mission Walhalla

Mission Walhalla

Titel: Mission Walhalla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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mit der Geschwindigkeit eines Zyklons vernichteten, daher der Name, war wiederum ein viertes Unternehmen, die Dessauer Werke. Können Sie mir noch folgen?»
    «Ja. Obwohl mir nicht ganz klar ist, worauf Sie hinauswollen.»
    «Nur Geduld. Ich werde alles erklären. Also, die Dessauer Werke stellten das Zeug im Auftrag der Degesch her, die das Zeug an die Degussa verhökerte, die wiederum die Vertriebsrechte an zwei andere Chemiefirmen verkaufte. Also, lange Rede kurzer Sinn: Die I. G. Farben war in Wahrheit zu lediglich zwanzig Prozent an dem Gas beteiligt. Der Löwenanteil gehörte einer weiteren Firma, der Goldschmidt AG in Essen.
    Wieso erzähle ich Ihnen das? Aus folgendem Grund. Als ich in dieses Gebäude einzog, behagte mir die Vorstellung nicht, die gleiche Büroluft zu atmen wie die Menschen, die das Giftgas entwickelt hatten. Daher beschloss ich, mich schlauzumachen. Und ich fand heraus, dass die I. G. Farben in Wirklichkeit gar nicht so viel mit dem Gas zu tun hatte, wie immer behauptet wurde. Ich erfuhr außerdem, dass der US -Gesundheitsdienst 1929 Zyklon B benutzte, um sowohl die Kleidung von mexikanischen Immigranten zu desinfizieren als auch die Frachtzüge, mit denen sie eingereist waren. In der Quarantänestation in New Orleans. Übrigens, das Zeug wird heute noch hergestellt, in der Tschechoslowakei, in Kolin. Unter dem Markennamen Uragan D2. Zum Desinfizieren der Züge, mit denen deutsche Kriegsgefangene zurück in die Heimat gebracht wurden.
    Wie Sie sehen, Herr Gunther, habe ich eine Schwäche für Informationen, die andere vielleicht als Belanglosigkeiten ansehen würden. Ich nenne so etwas Wahrheit. Oder Wissen. Oder, wenn ich in meinem Büro sitze, Geheimdienstinformationen. Ich giere nach Tatsachen, Herr Gunther. Ob über die I. G. Farben, Zyklon B, Mackie Messer oder Erich Mielke, egal, Hauptsache Tatsachen.»
    Ich trank einen Schluck von meinem Kaffee. Er schmeckte scheußlich. Wie geschmorte Socken. Ich griff nach meinen Zigaretten, doch dann fiel mir ein, dass ich meine letzte im Auto geraucht hatte.
    «Geben Sie Herrn Gunther eine Zigarette, ja, Phil? Sie wollten doch eine, nicht?»
    «Ja. Danke.»
    Scheuer gab mir mit einem schweren Dunhill-Feuerzeug Feuer und zündete sich selbst ebenfalls eine an. Ich sah, dass auf seiner Fliege die gleichen kleinen Wappenschilde abgebildet waren wie auf der Krawatte des Chief, und ich schloss daraus, dass die beiden nicht nur zusammenarbeiteten, sondern auch eine ähnliche Ausbildung genossen hatten. Vermutlich an irgendeiner Eliteuni.
    «Ihr Brief, Herr Gunther, war faszinierend. Vor allem vor dem Hintergrund dessen, was Phil mir erzählt hat und was ich in der Akte gelesen habe. Aber meine Aufgabe ist es, herauszufinden, wie viel davon den Tatsachen entspricht. Oh, ich will damit keineswegs andeuten, dass Sie uns belügen. Aber nach zwanzig Jahren kann einem schon mal leicht der eine oder andere Fehler unterlaufen. Das ist doch nachvollziehbar, oder?»
    «Durchaus.»
    Er beäugte meinen ungetrunkenen Kaffee mit solidarischem Abscheu. «Grässlich, nicht? Der Kaffee. Ich weiß nicht, warum wir uns das antun. Phil, geben Sie Herrn Gunther was Stärkeres. Was hätten Sie gern?»
    «Ein Schnaps wäre gut», sagte ich und schaute mich um, während Scheuer eine Flasche und ein kleines Glas aus der Anrichte nahm und beides auf den Tisch stellte. «Danke.»
    «Untersetzer», zischte der Chief.
    Untersetzer wurden geholt und unter die Flasche und mein Glas geschoben.
    «Der Tisch ist aus Walnussholz», sagte der Chief. «Walnussholz kriegt so leicht Flecken wie eine Damastserviette. Nun denn, Herr Gunther. Sie haben Ihre Zigarette. Sie haben Ihren Drink. Jetzt brauche ich von Ihnen nur ein paar Informationen.»
    In den Fingern hielt er ein Blatt Papier, auf dem ich meine Handschrift erkannte. Er setzte sich eine Halbmondbrille auf die Himmelfahrtsnase und betrachtete den Brief mit distanziertem Interesse. Er überflog ihn flüchtig, ehe er ihn auf den Tisch fallen ließ.
    «Natürlich habe ich das gelesen. Mehrmals. Aber jetzt, da Sie hier sind, würde ich gern noch einmal aus Ihrem Mund hören, was Sie da an die Agenten Scheuer und Frei geschrieben haben.»
    «Um festzustellen, ob ich bei dem bleibe, was ich geschrieben habe?»
    «Ich sehe, wir verstehen einander prächtig.»
    «Also, die
Tatsachen
sind wie folgt», sagte ich und unterdrückte ein Lächeln. «Als Bedingung für meine Zusammenarbeit mit dem SDECE –»
    Der Chief verzog das Gesicht.

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