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Mission Walhalla

Mission Walhalla

Titel: Mission Walhalla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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den Schädel, in einer unnatürlichen Rückwärtsbewegung, als würde eine in sich zusammengefallene Marionette ihre Gliedmaßen ordnen, bis sie schließlich vor einer Rauchwolke zu knien schien, die plötzlich verschwand: Sie wurde in die Mündung der Pistole gesogen, die ich selbst mit ruhiger Hand hielt.

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Kapitel 10 DEUTSCHLAND 1954
    Gerade wenn man denkt, dass es kaum schlimmer kommen könnte, kommt es noch schlimmer. Das ist die Ironie des Schicksals.
    Ich war eingeschlafen, und einen Moment lang glaubte ich, wieder einen dieser Albträume zu durchleiden. Ich spürte etliche Paar Hände auf meinem Körper, die mich auf den Bauch rollten und mir die Schlafanzugjacke wegrissen. Dann wurde mir ein Sack über den Kopf gestülpt, gleichzeitig legte man mir Handschellen an. Als das Metall mir schmerzhaft in die Handgelenke schnitt, schrie ich auf und handelte mir einen Schlag auf den Kopf ein.
    «Schnauze», zischte eine Stimme – eine amerikanische Stimme. «Sonst kriegst du noch eine verpasst.»
    Hände in Gummihandschuhen zerrten mich hoch. Irgendwer zog mir die Schlafanzughose runter, und ich wurde nackt aus der Zelle geschleift und dann über den Flur und die Treppe hinunter bugsiert. Wir traten ins Freie und überquerten den Hof. Türen öffneten sich und knallten hinter uns zu, und danach verlor ich die Orientierung, aber ich wusste, dass wir die Mauern von Landsberg nicht verlassen hatten. Ich spürte eine Hand auf meinem Kopf, die mich nach unten drückte.
    «Hinsetzen», befahl eine Stimme.
    Ich gehorchte bereitwillig, nicht ahnend, dass da kein Stuhl war, und als ich unter Schmerzen auf den Steinplattenboden krachte, hörte ich wieherndes Gelächter aus mehreren Kehlen.
    «Seid ihr da von ganz allein draufgekommen?», fragte ich. «Oder habt ihr die Idee aus irgendeinem Film geklaut?»
    «Ich hab gesagt, du sollst die Klappe halten.» Jemand trat mir ins Kreuz, nicht fest genug, um mich zu verletzen, aber immerhin so fest, dass ich die Klappe hielt. «Du redest nur, wenn du gefragt wirst.»
    Wieder wurde ich hochgezogen und durfte diesmal auch tatsächlich auf einem Stuhl Platz nehmen.
    Dann vernahm ich, wie diverse Fußpaare aus dem Raum trampelten und eine Tür geschlossen, aber nicht verschlossen wurde, doch ich wusste, dass ich nicht allein war. Ich roch Zigarettenrauch. Ich hätte gern um eine gebeten, aber mit Kapuze über dem Kopf wäre das Rauchen schwierig gewesen. Abgesehen davon hätte ich mir wahrscheinlich nur einen weiteren Tritt eingefangen. Also schwieg ich, wohl wissend, dass das das Letzte war, was sie wollten. Es gibt nur zwei Gründe, jemandem einen Sack über den Kopf zu stülpen: entweder, um ihn darin auf die Falltür unter einem Galgen zu führen und aufzuhängen oder um ihn weichzukochen. Aber was konnten sie bloß von mir hören wollen, was ich ihnen nicht schon erzählt hatte?
    Zehn Minuten vergingen. Vielleicht mehr. Wahrscheinlich weniger. In der Dunkelheit fühlt sich jede Minute an wie eine Ewigkeit. Ich schloss die Augen. So behielt ich die Kontrolle, nicht sie. Selbst wenn sie die Kapuze jetzt wegnähmen: Ich selbst würde bestimmen, wann ich meine Augen wieder öffnete. Ich holte tief Luft und atmete so ruhig wie möglich wieder aus, versuchte, meine Angst in den Griff zu bekommen. Ich sagte mir, dass ich schon Schlimmeres überstanden hatte. Verglichen mit Amiens 1918 war das hier ein Kinderspiel. Es explodierten noch nicht mal Granaten um mich herum. Ich hatte noch immer zwei Arme und Beine und beide Eier. Was machte da schon eine Kapuze über dem Kopf aus. Wenn die wollten, dass ich nichts sah, meinetwegen. Schwarze Tage in vollkommener Finsternis waren mir nicht fremd. Etwas Schwärzeres als Amiens konnte ich mir ohnehin nicht vorstellen. Ludendorff hatte treffenderweise vom schwarzen Tag des deutschen Heeres gesprochen. Wie will man das sonst nennen, wenn eine Streitmacht von vierhundertfünfzig Panzern und dreizehn australischen Divisionen auf einen zurollt? Und immer mehr nachrücken.
    Ich hörte ein Streichholz aufflammen. Eine weitere Zigarette wurde angezündet. Ein Kettenraucher? Ich atmete tief ein und versuchte, etwas von dem Rauch in die Lunge zu saugen. Amerikanischer Tabak, so viel war klar, weil er so süßlich roch. Die taten wahrscheinlich Zucker rein, weil sie ja fast alles zuckerten – Kaffee, Alkohol, frisches Obst. Vielleicht bestreuten sie sogar ihre Frauen mit Zucker, und wenn man sich die Männer so ansah, würde es mich

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