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Mission Walhalla

Mission Walhalla

Titel: Mission Walhalla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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französische Polizei. Es machte ihnen anscheinend nichts aus, besiegt worden zu sein. In Deutschland hatte ich Polizisten gesehen, die verzweifelter aussahen, nur weil sie nicht in den Verband Preußischer Polizeibeamter kamen.
    Ich ließ mir ein weiteres Abendessen in einem ruhigen Restaurant auf der Rue de Varennes schmecken, ehe ich ins Lutetia zurückkehrte. Die Architektur des Hotels war eine Mischung aus Jugendstil und Art déco, aber die Hakenkreuzfahne, die jetzt an dem geschwungenen Ziergiebel über dem Hotelnamen hing, war ein deutlicher Hinweis darauf, dass mit den neuen Gästen die Ära des Neo-Brutalismus Einzug gehalten hatte.
    Die Bar war gut besucht und strahlte eine Behaglichkeit aus, wie ich sie hier nicht erwartet hätte. Ein Welte-Mignon-Pianola gab ein Potpourri aus rührseligen deutschen Melodien zum Besten. Ich bestellte mir einen Cognac, rauchte eine französische Zigarette und versuchte, dem Reptilienblick des Untersturmführers zu entgehen, der mich im Zug aus Berlin angesprochen hatte. Als ich aus den Augenwinkeln sah, dass er Anstalten machte, zu mir rüberzukommen, leerte ich zügig mein Glas und verließ den Raum. Ich fuhr mit dem Fahrstuhl in den siebten Stock und ging den gewundenen Korridor entlang zu meinem Zimmer. Ein Zimmermädchen kam aus der Tür gegenüber und lächelte. Zu meiner Überraschung sprach sie perfekt Deutsch.
    «Wünschen Sie, dass ich Ihnen das Bett für die Nacht aufschlage?»
    «Danke», sagte ich, öffnete meine Tür und lobte ihre Deutschkenntnisse.
    «Ich bin Schweizerin. Ich bin mit Französisch, Deutsch und Italienisch aufgewachsen. Mein Vater hat in Bern ein Hotel. Ich bin nach Paris gekommen, um Berufserfahrung zu sammeln.»
    «Vor dem Krieg hab ich auch im Hotelgewerbe gearbeitet», erwiderte ich. «Im Adlon in Berlin.»
    Das beeindruckte sie, was natürlich meine Absicht gewesen war, denn sie war durchaus reizvoll. Vielleicht ein wenig hausbacken. Aber ich war in einer häuslichen Stimmung, in der ich hausbackenen jungen Frauen einiges abgewinnen konnte. Und als sie ihre Arbeit verrichtet hatte, gab ich ihr etwas deutsches Geld und meine restlichen Zigaretten, weil ich wollte, dass sie besser von mir dachte als ich von mir selbst. Der Mann, der mir aus dem Spiegel am Kleiderschrank entgegenblickte, war mir nämlich nicht besonders sympathisch. In einer kleinen albernen Phantasie malte ich mir aus, wie sie spätnachts bei mir anklopfte und zu mir ins Bett stieg. Wie sich herausstellte, war das gar nicht so abwegig. Aber das passierte erst einige Wochen später, und als ich an diesem Abend allein auf meinem Zimmer war, bereute ich, ihr meine letzten Zigaretten gegeben zu haben.
    «Tja, Gunther, so schläfst du wenigstens nicht mit einer Zigarette in der Hand ein und zündest das Bett an.» Ich seufzte hörbar und schielte zu dem Messingfeuerlöscher hinüber, der in einer Ecke gleich neben der Tür stand. Ich schloss das Fenster, zog mich aus und legte mich aufs Bett. Eine Zeitlang starrte ich an die weiße Decke und überlegte, ob ich dem Maison Chabanais nicht doch einen Besuch abstatten sollte. Und fast wäre ich sogar aufgestanden und hätte mich auf den Weg gemacht, wenn mich nicht die Vorstellung abgeschreckt hätte, meine Schaftstiefel wieder anziehen zu müssen. Manchmal ist Sittsamkeit bloß eine Folge von Trägheit. Außerdem genoss ich es, in den bequemen Daunen eines luxuriösen Grandhotels zur Ruhe zu kommen. Der Schlaf übermannte mich rasch und beendete die Gedanken an das, was ich im Maison Chabanais möglicherweise verpasste. Es war ein unnatürlich tiefer Schlaf, der mit fortschreitender Nacht immer tiefer wurde und jegliche Gedanken auslöschte: an das Maison Chabanais, an Paris, an meine Mission. Die Art von Schlaf, die beinahe auch mich ausgelöscht hätte.

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Kapitel 17 FRANKREICH 1940
    Es konnte kein Traum sein. Ich war wieder im Schützengraben. Ganz sicher, wieso sonst der Geruch von Wintergrünsalbe? Die benutzten wir zum Aufwärmen von rauen und wunden Händen in den kälteren Monaten. Wintergrün eignete sich auch hervorragend zum Einreiben der Brust, wenn man Fieber hatte oder Husten oder Halsschmerzen, was wegen der Läuse, der unerträglichen Enge und der Feuchtigkeit fast immer der Fall war. Manchmal rieben wir uns sogar etwas von dem Zeug in die Nasenlöcher, um den Geruch von Tod und Verwesung für kurze Zeit zu vergessen.
    Ich hatte Halsschmerzen. Und ich hatte Husten. Kälte lag auf meiner Brust

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