Mission Walhalla
noch Krieg gegen sie geführt. Wenn jemand in Frage kommt – und ich bin keineswegs überzeugt, dass es sich nicht doch bloß um einen Unfall handelt –, dann doch eher einer von denen. Ein Page vielleicht. Oder ein patriotischer Kellner.»
«Und unter all den Mistkerlen, die er hätte umlegen können, hat er sich rein zufällig mich ausgeguckt, meinst du?» Ich schüttelte den Kopf, was einen weiteren heftigen Hustenanfall zur Folge hatte.
Kestner goss ein Glas Wasser ein und reichte es mir.
Ich trank und kam langsam wieder zu Atem.
«Danke. Außerdem: Das Personal in einem Grandhotel? Es würde gegen ihr Berufsethos verstoßen, einen Gast umzubringen. Selbst, wenn sie diesen Gast verabscheuen.»
Kestner ging zum Fenster und blickte hinaus. Wir waren im vierten Stock, direkt unter dem hohen Mansardendach des Krankenhauses. Man konnte den Gare du Nord nur ein paar Straßen entfernt sehen und manchmal auch hören.
«Aber wieso sollte ein deutscher Offizier dir an den Kragen wollen? Mit welchem Motiv?»
Einen Moment erwog ich, ihm eines vorzuschlagen: dass meiner Meinung nach jemand, der mich bereits bei der Gestapo als Mischling denunziert hatte, auch vor einem Mordanschlag nicht zurückschrecken würde. Stattdessen sagte ich: «Die Herrschaften aus der Politik waren mir nicht immer so wohlgesinnt. Weißt du noch, wie es vor 1933 bei der Kripo zuging? Na klar weißt du das. Du bist so ziemlich der Einzige in ganz Paris, mit dem ich darüber reden kann, Paul. Dem ich trauen kann.»
«Das hör ich gern, Bernie. Aber nur fürs Protokoll, ich hab die letzte Nacht im One Two Two verbracht. Dem Bordell.»
«Vergiss nicht, dass sich jeder im Hotel an- und abmelden muss», sagte ich. «Ich könnte leicht überprüfen, ob du letzte Nacht im Hotel warst.»
«Ja, du hast recht. Das hatte ich tatsächlich vergessen. Du warst schon immer der bessere Kriminalist von uns beiden.» Er wandte sich vom Fenster ab und setzte sich auf meine Bettkante.
«Du lebst, das ist die Hauptsache. Und wegen Mielke brauchst du dir keine Gedanken zu machen. Ich habe keinen Zweifel daran, dass wir ihn finden. Du kannst Heydrich ausrichten, wenn er in einem dieser Lager ist, spüren wir ihn auf, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Du kannst mit einem beruhigten Gefühl nach Berlin zurückfahren, und wir nehmen die Sache in die Hand, wenn wir morgen da runterfliegen.»
«Wie kommst du darauf, dass ich nicht mit von der Partie bin?»
«Dein Arzt hat gesagt, du musst dich erst richtig auskurieren», sagte Kestner. «Das willst du doch bestimmt lieber zu Hause machen.»
«Ich arbeite für Heydrich, schon vergessen? Er ist ein bisschen wie der Gott des Alten Testaments: Man sollte seinen Zorn lieber nicht heraufbeschwören, denn die Strafe folgt meist auf dem Fuße. Nein, ich werde morgen mitfliegen, selbst wenn ihr mich ans Fahrwerk fesseln müsst. Übrigens keine schlechte Idee. Der Arzt meint, ich bräuchte reichlich frische Luft.»
Kestner zuckte die Achseln. «Na schön. Wie du meinst. Du bist schließlich der Pechvogel, nicht ich.»
«Genau. Außerdem, was soll ich denn hier in Paris machen, außer ins Maison Chabanais oder ins One Two Two gehen? Oder in irgendeinen anderen Puff.»
«Der Wagen fährt morgen früh um acht am Hotel ab.» Kestner sah müde und verärgert aus. Er schlug sich mit seiner Mütze seitlich ans Bein, dann ging er.
Ich schloss für einen Moment die Augen. Ein heftiger Hustenanfall schüttelte meinen Körper, aber ich war nicht allzu besorgt. Schließlich war ich im Krankenhaus, und in Krankenhäusern wird man wieder gesund.
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Kapitel 18 FRANKREICH 1940
Früh am nächsten Morgen fuhr mich ein SS -Stabswagen zum Hotel, wo ich rasch meine Siebensachen packen wollte, ehe es weiter zum Flughafen Le Bourget ging. Paris schlief noch, und wahrscheinlich hätte jeder anständige Franzose beim Anblick, den die Stadt bot, die Augen sofort wieder geschlossen. Eine Soldatenkolonne marschierte die Champs-Élysées entlang, deutsche Armeelastwagen rollten aus dem Grand Palais, in dem der Militärfuhrpark untergebracht war, und für den Fall, dass es noch nicht alle kapiert hatten, wurde die Fassade des Palais Bourbon mit einem riesigen V für Viktoria sowie einem Transparent mit der Aufschrift
Deutschland ist überall siegreich
behängt. An diesem strahlenden Sommertag sah Paris fast so trostlos aus wie Berlin. Immerhin fühlte ich mich besser. Auf meine Bitte hin hatte der Arzt mir eine
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