Mission Walhalla
solchen pragmatischen Faschismus. «Warum sind Sie hier, Oberinspektor?»
«Ich suche nach jemandem, genau wie Sie, Hauptsturmführer», sagte er. «Nach einem Flüchtling. Während des spanischen Bürgerkriegs hab ich auf der Seite der Nationalisten gekämpft. Und ich hab mit den Republikanern noch ein paar Rechnungen offen.»
«Sie meinen, es ist was Persönliches.»
«Alles, was mit dem spanischen Bürgerkrieg zu tun hat, ist persönlich, Monsieur. Es wurden viele Gräueltaten begangen. Mein eigener Bruder wurde von einem Kommunisten ermordet. Er war Priester. Sie haben ihn bei lebendigem Leibe in seiner eigenen Kirche verbrannt. In Katalonien. Der Mann, der den Befehl dazu erteilte, war Franzose. Ein Kommunist aus Le Havre.»
«Und wenn Sie ihn finden? Was dann?»
Oltramare lächelte. «Dann nehme ich ihn fest, Hauptsturmführer Gunther.»
Da war ich mir nicht so sicher. Eigentlich war ich mir bei gar nichts sicher, als wir Navarrenx hinter uns ließen und weiter nach Süden Richtung Gurs fuhren. Die SS -Männer, die auf dem Lastwagen vorausfuhren, sangen jetzt
Sieg Heil! Viktoria!
. Und mein ungutes Gefühl verstärkte sich.
Mein Fahrer und der Rottenführer vorne auf dem Beifahrersitz interessierten sich mehr für die Frau, die neben Oltramare saß, als für mich und die Singerei. Sie hieß Eva Kemmerich und war so abgemagert, dass ihr Mund zu breit und ihre Ohren zu groß für ihr Gesicht wirkten. Unter ihren Augen lagen dunkle Schatten wie Fledermausflügel, und sie hatte ein rosa Taschentuch um den Kopf gebunden, um ihr Haar sauber zu halten. In Gurs mussten sie und die anderen Frauen unter den Franzosen vieles erdulden.
«Sie waren grausam», erklärte sie. «Die haben uns behandelt wie Hunde. Schlechter als Hunde. Es heißt ja immer, die Deutschen wären Judenhasser. Aber die Franzosen hassen einfach jeden, der nicht Franzose ist. Deutsche, Juden, Spanier, Polen, Italiener – die wurden alle gleich schlecht behandelt. Gurs ist ein Konzentrationslager, jawohl, und die Wachen dort sind absolute Dreckskerle. Die haben uns schuften lassen wie Sklaven. Sehen Sie sich bloß meine Hände an. Meine Fingernägel. Die sind ruiniert.»
Sie starrte Oltramare mit unverhohlener Verachtung an. «Na los», sagte sie. «Sehen Sie hin.»
«Ich sehe es, Mademoiselle.»
«Und? Wer gibt euch das Recht, Menschen so zu behandeln? Sie sind doch Franzose. Erklären Sie’s mir.»
«Ich habe keine Erklärung, Mademoiselle. Und ich habe keine Entschuldigung. Ich kann nur sagen, dass vor dem Krieg vier Millionen Flüchtlinge aus ganz Europa in Frankreich lebten. Das sind zehn Prozent der Bevölkerung. Wo sollten wir denn hin mit so vielen Menschen, Mademoiselle?»
«Madame, bitte», sagte sie. «Ich hatte einen Ehering, aber den haben mir eure französischen Wachen abgenommen. Aber wir bekamen so wenig zu essen, dass er mir ohnehin dauernd vom Finger gerutscht ist. Mein Mann ist in einem anderen Lager. Le Vernet. Ich hoffe, er hat es dort besser. Bei Gott, schlechter als ich kann er es kaum haben. Ich sag Ihnen mal was. Ich finde es schade, dass der Krieg vorbei ist. Weil ich wünschte, unsere Jungs hätten noch viel mehr Franzosen abgemurkst, ehe die das Handtuch werfen mussten.» Sie beugte sich vor und klopfte dem Rottenführer und dem Fahrer auf die Schulter. «Wahrhaftig, ich bin stolz auf euch, Jungs. Ihr habt es den Franzmännern so richtig gezeigt. Aber für mich wäre es das Tüpfelchen auf dem i, wenn ihr den Verbrecher verhaften würdet, der das Lager in Gurs kommandiert, und das Schwein abknallt. Wisst ihr was? Ich schlafe mit jedem von euch, der dem Sauhund eine Kugel in den Kopf jagt.»
Der Rottenführer sah den Fahrer an und grinste. Ich merkte ihm an, dass er den Vorschlag ernsthaft in Erwägung zog, also sagte ich: «Und ich erschieße jeden, der das großzügige Angebot der Dame annimmt.» Ich nahm ihre knochige Hand in meine. «Bitte, Frau Kemmerich, tun Sie das nie wieder. Ich verstehe ja, dass Sie eine schwere Zeit hinter sich haben, aber ich kann nicht zulassen, dass sich Ihre Lage noch verschlimmert.»
«Verschlimmert?» Sie schnaubte. «Etwas Schlimmeres als Gurs gibt es nicht.»
Das Lager, das mit einer Fläche von einem Quadratkilometer sehr viel größer war, als ich erwartet hatte, lag zwischen den Ausläufern der Pyrenäen. Eine provisorische Straße teilte es in zwei Hälften mit jeweils drei- bis vierhundert Holzbaracken. Offenbar gab es keine sanitären Einrichtungen oder fließendes
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