Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mission Walhalla

Mission Walhalla

Titel: Mission Walhalla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
Vom Netzwerk:
wurde, wie ich erleichtert feststellte. Bömelburg verteilte sogar ein paar Zigaretten. Ich fühlte mich erschöpft, aber besser. Wenigstens hatte ich keine Schmerzen mehr in der Brust. Aber um Zigaretten machte ich nach wie vor einen Bogen. Stattdessen nahm ich noch einen Schluck aus Bömelburgs Flachmann und befand, dass er vielleicht doch kein so übler Bursche war.
    «Hier in der Gegend gibt es haufenweise Höhlen und Grotten», sagte er und deutete auf einen Felsen, der wie eine dicke graue Wolke über unseren Köpfen hing.
    Wir sahen Frau Kemmerich dahinter verschwinden. Zwei Minuten später sagte Bömelburg: «Wären Sie vielleicht so nett, Frau Kemmerich Bescheid zu geben, dass wir in fünf Minuten weiterfahren?»
    Ich sah auf meine Uhr: «Jawohl, Sturmbannführer.»
    Ich stieg den Hang hinauf und rief laut ihren Namen, für den Fall, dass sie gerade dem Ruf der Natur folgte.
    «Ja?»
    Sie saß vor einer grün umrankten Grotte auf einem Felsvorsprung und rauchte eine Zigarette.
    «Ist es nicht wunderschön hier?», fragte sie und machte eine ausladende Handbewegung.
    Ich wandte mich um und bewunderte die Aussicht auf die Pyrenäen.
    «Ja, wirklich wunderschön.»
    «Tut mir leid, dass ich mich vorhin so aufgeführt habe», sagte sie. «Sie haben ja keine Ahnung, wie die letzten neun Monate waren. Mein Mann und ich waren in Dijon, als der Krieg erklärt wurde. Er ist Weinhändler. Wir wurden auf der Stelle verhaftet.»
    «Denken Sie nicht mehr dran, was da passiert ist», sagte ich. «Sie waren mit Fug und Recht aufgebracht. Und das Lager sah wirklich furchtbar aus.» Ich deutete mit einem Nicken den Hang hinunter. «Kommen Sie. Wir müssen zurück zum Wagen. Ist noch ein weiter Weg bis Toulouse.»
    Sie stand auf. «Wie lange brauchen wir noch?»
    Meine Antwort wurde von zwei oder drei lauten Salven eines Maschinengewehrs verschluckt. Der Lärm hielt nur ein paar Sekunden an. Aber es dauert ja auch nur fünf Sekunden, um das 32-Schuss-Magazin einer MP 40 leer zu feuern. Nachhall und Geruch der Salven hingen noch in der Luft, als ich den Hang hinunter und auf die Lichtung zustürzte. Zwei junge Sturmmänner standen in einigem Abstand nebeneinander, und auf dem Boden häuften sich um ihre Knobelbecher herum leere Patronenhülsen, als wären sie Straßenmusikanten, denen Passanten eine Zuwendung zugeworfen hatten. Mechanisch wechselten sie bereits die Magazine ihrer Maschinenpistolen, wirkten allerdings ein kleines bisschen erstaunt über deren mörderische Durchschlagskraft. So ist das mit Waffen: Sie sehen wie Spielzeuge aus, bis sie plötzlich einen Menschen töten.
    Ein Stückchen weiter lagen die Leichen der acht Gefangenen, die wir aus Gurs mitgenommen hatten.
    «Was zum Teufel ist passiert?», schrie ich, aber ich kannte die Antwort bereits.
    «Die wollten abhauen», sagte Bömelburg.
    Ich ging rüber, um mir die Leichen genauer anzusehen.
    «Alle?», fragte ich. «Geschlossen? In einer geraden Linie?»
    Einer der Niedergeschossenen stöhnte. Er lag auf dem Waldboden, die Knie waren unter ihm weggesackt, der Oberkörper war in einem fast unmöglichen Winkel nach hinten gebogen wie bei einem alten indischen Fakir. Aber ihm war nicht mehr zu helfen. Kopf und Brust waren vor Blut kaum noch zu erkennen.
    Wütend ging ich zu Bömelburg. «Wenn sie hätten abhauen wollen, wären sie doch in verschiedene Richtungen gerannt», sagte ich. «Nicht alle denselben Abhang runter.»
    Ein Pistolenschuss brachte die stille Waldluft zum Flirren und schlug ein weiteres Loch in den Kopf des stöhnenden Mannes. Ich wirbelte herum und sah, wie Kestner seine Walther P38 zurück ins Halfter steckte. Als sich unsere Blicke trafen, sagte er entschuldigend: «Dachte, es sei besser, ihn zu erledigen.»
    «Am Alex hätten wir das Mord genannt», sagte ich.
    «Wir sind hier aber nicht am Alex, Hauptsturmführer», sagte Bömelburg. «Was ist, Gunther, wollen Sie mich etwa als Lügner bezeichnen? Diese Männer wurden bei einem Fluchtversuch erschossen, verstanden?»
    Mir lag so einiges auf der Zunge, aber ich tat besser daran, es mir zu verkneifen. Die Walküren trugen nicht nur die Leichname gefallener Helden hinauf nach Walhall, sondern auch die von Berliner Oberkommissaren, denen es in entlegenen französischen Wäldern einfiel, ranghöhere Offiziere zu kritisieren. Da erschien es mir sinnlos, überhaupt noch was zu sagen. Aber bestimmt gab es noch einiges, was ich tun konnte.
    Vorerst entschied ich, mich bei Bömelburg zu

Weitere Kostenlose Bücher