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Mission Walhalla

Mission Walhalla

Titel: Mission Walhalla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Wasser: Der Geruch war unbeschreiblich. Ich hatte Dachau gesehen, und Gurs schien sich von Dachau nur dadurch zu unterscheiden, dass der Stacheldrahtzaun ringsherum kleiner war und offensichtlich nicht unter Strom stand; und dass es keine Hinrichtungen gab. Erst nachdem wir den Teil des Lagers betreten hatten, in dem die männlichen Gefangenen untergebracht waren, zeigte sich, dass die Zustände hier noch sehr viel schlimmer waren als in Dachau.
    Jeder Wachmann, ausnahmslos französische Gendarmen, trug eine dicke lederne Reitpeitsche, obwohl keiner den Eindruck machte, als besitze er ein Pferd. Es gab drei «Inseln»: A, B und C. Der Aufseher von Insel C war ein Typ wie Jean Gabin mit einem weibischen Zug um den Mund und schmalen, ausdruckslosen Augen. Als wir ihn fragten, wo die deutschen Kommunisten untergebracht waren, führte er uns bereitwillig zu einer baufälligen Baracke, in der fünfzig Mann zusammengepfercht waren, die, als sie nach draußen gescheucht wurden, unübersehbar Zeichen von Unterernährung oder Krankheit zeigten, meistens beides. Es war klar, dass sie uns oder irgendwas in der Art erwartet hatten, denn sie verweigerten einen Namensappell und stimmten die Internationale an. Derweil überflog der französische Aufseher Bömelburgs Liste und identifizierte einige der gesuchten Männer. Erich Mielke war nicht dabei.
    Währenddessen vernahm ich die Stimme einer aufgebrachten Eva Kemmerich. Sie stand in unserem Kübelwagen, der auf dem Zufahrtsweg geparkt war, und beschimpfte lauthals einige Gefangene. Diese Männer und ein paar von den Gendarmen auf der Frauenseite des Zauns antworteten ihr mit Gelächter und obszönen Gesten. Das Ganze kam mir vor wie ein Aufstand in einer Irrenanstalt, erst recht, als die Insassen einer anderen Baracke – der Aufseher sagte, dort seien französische Anarchisten untergebracht – plötzlich anfingen, im Wettstreit mit den Sängern der Internationale die Marseillaise zu schmettern.
    Wir führten acht Männer aus dem Lager zu unseren Fahrzeugen. Alle hoben sie die Faust zum kommunistischen Gruß und riefen ihren Mitgefangenen auf Deutsch oder Spanisch irgendwelche Parolen zu.
    Kestner fing meinen Blick auf: «Hast du schon mal so was wie hier gesehen?»
    «Nur Dachau.»
    «Tja, ich hab so was noch nie gesehen. Ist doch widerlich, Menschen so zu behandeln, selbst wenn sie Kommunisten sind.»
    «Sag das nicht mir.» Ich zeigte auf Oberinspektor Oltramare, der mit vorgehaltener Pistole einen Gefangenen in Handschellen vor sich hertrieb. «Sag das ihm.»
    «Sieht jedenfalls so aus, als hätte er seinen Mann gefunden.»
    «Ich frage mich, ob ich meinen finde», sagte ich. «Mielke.»
    «Nicht hier?»
    Ich schüttelte den Kopf. «Weißt du, dieses Bolschewikenschwein hat mir fast die Karriere ruiniert. Wenn du mich fragst, hat er nichts anderes als das hier verdient.»
    «Allerdings. Haben sie alle. Dreckige Kommunisten.»
    «Aber du warst doch auch Kommunist, Paul. Bevor du der NSDAP beigetreten bist.»
    «Ich. Nee. Wie kommst du denn darauf?»
    «Hast du nicht damals Wahlkampf für Ernst Thälmann gemacht? Wann war das nochmal? 1925?»
    «Mach dich nicht lächerlich, Bernie. Das soll wohl ein Witz sein.» Er schielte nervös in Bömelburgs Richtung. «Ich glaube, dieses Phosgengas hat dir das Gehirn benebelt. Ehrlich. Bist du verrückt geworden?»
    «Nein. Ganz im Gegenteil, ich habe eher den Eindruck, ich bin der Einzige hier, der nicht verrückt ist.»
    Dieser Eindruck verstärkte sich im weiteren Verlauf des Tages, der, wie sich herausstellte, noch mehr Wahnsinn für uns bereithielt.

[zur Inhaltsübersicht]
Kapitel 20 FRANKREICH 1940
    Es war bereits später Nachmittag, als unser Konvoi sich wieder in Gang setzte. Wir fuhren Richtung Toulouse, rund hundertfünfzig Kilometer nordöstlich von Gurs, und hofften, vor Einbruch der Dunkelheit dort anzukommen. Wir nahmen Eva Kemmerich mit, damit sie nach ihrem Mann suchen konnte, wenn wir am nächsten Tag das Lager Le Vernet aufsuchten. Und natürlich auch die acht Gefangenen: ein elender, unterernährter, stinkender Haufen, der kaum für irgendwen eine Gefahr darstellte, schon gar nicht für das Dritte Reich. Laut Karl Bömelburg war einer von ihnen ein berühmter deutscher Schriftsteller und ein anderer ein bekannter Journalist, aber beide Namen sagten mir nichts.
    In der Nähe von Lourdes machten wir bei einem Wäldchen Rast, die Gave de Pau in Sichtweite. Wir vertraten uns die Beine, was auch den Gefangenen erlaubt

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