Mississippi Delta – Blut in den Bayous (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Straßenbahnnetz durchzogen gewesen, doch in Betrieb geblieben ist lediglich die St. Charles-Linie. Sie verläuft ein kurzes Stück die Canal Street hinunter, dann folgen die Schienen der ganzen Länge der St. Charles durch den Garden District, vorbei an Loyola und Tulane und am Audubon Park, steigen dann nach South Carrollton hinauf und machen an der Claiborne eine Schleife. Diese besondere Linie blieb erhalten, weil sie durch eine der wahrscheinlich schönsten Straßen der Welt verläuft. Die St. Charles Avenue und die Esplanade in ihrer Mitte sind überdacht von gewaltigen Eichen und zu beiden Seiten gesäumt von alten, mit filigranem Schmiedeeisen verzierten Ziegelhäusern und Villen aus der Zeit vor dem Bürgerkrieg, mit Säulenportalen und von Lanzenspitzenzäunen umgebenen Vorgärten voller Hibiskus, aufgeblühten Myrten und Oleander, Bambus und riesigem Philodendron. Die Gegend um die Straßenbahnlinie ist fast reines Wohngebiet, und ich mußte mich nur in den wenigen Gewerbezeilen dazwischen nach einer Wäscherei oder Trockenreinigung umschauen, die möglicherweise von Victor Romeros Cousin betrieben wurde.
Ich fand deren nur vier. Die eine wurde von Schwarzen betrieben, eine andere von Vietnamesen. Inhaber der dritten war ein weißes Ehepaar an der Carrollton, doch sie war meiner Meinung nach zu weit von der Straße zurückgesetzt, als daß ich die Straßenbahn übers Telefon hätte hören können. Die vierte dagegen, nur ein paar Seitenstraßen südwestlich vom Lee Circle gelegen, war nur ein Stück weit von den Schienen entfernt; die Vordertüren standen offen, um die Hitze nach draußen zu lassen, und durch ein großes Glasfenster konnte ich das Telefon auf dem Ladentisch stehen sehen und dahinter einen Weißen, der eine Bügelpresse bediente, aus der zischend Dampf entwich.
Die Wäscherei befand sich an einer Straßenecke mit einer Gasse dahinter, und neben den Mülltonnen stieß ich auf eine Holztreppe, die zum Wohnbereich im Obergeschoß führte. Ich parkte meinen Pickup auf der gegenüberliegenden Straßenseite unter einer Eiche auf dem Parkplatz eines kleinen Cafés, das gedünstete Krabben und braunen Reis auch außer Haus verkaufte. Es war ein heißer, schwüler Tag, und das Gras auf der Esplanade war im Schatten noch feucht vom Tau, die Borke an den Palmen dunkel gefleckt vom Wasser, das nachts von den Blättern getropft war, und die Eisenbahnschienen wirkten in der Sonne ausgeglüht und heiß. Ich ging ins Café, rief das Gewerbeamt an und fand heraus, daß die Wäscherei von einem Mann namens Martinez betrieben wurde. Über Familiennamen ließ sich also keine Verbindung herstellen, bis auf die Tatsache, daß der Wäschereibesitzer offenbar lateinamerikanischer Herkunft war. Es würde eine lange Wartezeit werden.
Ich öffnete beide Türen des Kleinlasters, um frische Luft hereinzulassen, und verbrachte den Morgen damit, die Ladentür der Wäscherei und den Hintereingang mit der Treppe zu beobachten. Gegen Mittag kaufte ich mir zum Lunch einen Pappteller mit Krabben und Reis aus dem Café und aß in meinem Pickup, während ein plötzlicher Schauer auf die Straße niederging.
Ich war noch nie gut bei Überwachungsaufgaben gewesen, vor allem deswegen, weil ich nicht über die nötige Geduld verfügte. Doch wichtiger war die Tatsache, daß mein Bewußtsein während jeder längeren Phase von Passivität oder Inaktivität stets mein schlimmster Feind wurde, auch wenn solche Phasen nur kurz sein mochten. Alter Groll, Ängste, unbereinigte Schuldgefühle und schwärzeste Depression tauchten grundlos aus dem Unbewußten auf und nagten wie Eisenzähne an den Rändern meiner Seele. Wenn ich nicht etwas tat, wenn ich meine Aufmerksamkeit nicht äußeren Dingen zuwandte, hatten mich derartige Empfindungen genauso schnell und vollständig im Griff wie der Whiskey, der mir wie ein dunkler elektrischer Strom durchs Blut und in mein Herz raste.
Ich beobachtete, wie der Regen aus dem Laubdach tropfte und auf die Windschutzscheibe und die Kühlerhaube meines Kleinlasters trommelte. Der Himmel war noch immer dunkel, und tiefhängende schwarze Wolken trieben von Süden heran wie der Rauch von Kanonen. Annies Tod verfolgte mich. Ganz gleich, wer die Schrotgewehre in unserem Schlafzimmer abgefeuert hatte, ganz gleich, wer es befohlen und dafür bezahlt hatte, Tatsache war, daß ich aus persönlichem Stolz ihr Leben preisgegeben hatte.
Jetzt mußte ich mich fragen, was ich eigentlich vorhatte, falls ich Victor
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