Mississippi Delta – Blut in den Bayous (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
die alten Muster zurück.«
»Das kann ich nicht ändern.«
»Vielleicht nicht. Aber du lebst nicht mehr allein.« Sie nahm meine Hand und legte sich wieder neben mich. »Da bin ich, und dann gibt es jetzt noch Alafair.«
»Ich werd’ dir sagen, was man dabei empfindet, und damit will ich’s bewenden lassen. Du erinnerst dich, wie ich dir davon erzählt habe, wie nordvietnamesische Truppen uns überrannt haben und der Captain sich ihnen ergeben hat? Sie haben unsere Hände mit Klavierdraht an Bäume gefesselt und dann haben sie uns abwechselnd angepißt. Genauso fühlt man sich.«
Sie blieb lange Zeit still. Ich hörte, wie sie im Dunkeln atmete. Dann tat sie einen langen, tiefen Atemzug und legte ihren Arm über meine Brust.
»Ich habe tief drinnen ein ganz schlechtes Gefühl, Dave«, sagte sie.
Dazu gab es nichts mehr zu sagen. Wie auch? Nicht einmal die mitfühlendsten Freunde und Verwandten des Opfers einer Schlägerei oder eines Überfalls können verstehen, was dieser Mensch erlebt. Über Jahre hatte ich Leute gefragt, die von Triebtätern belästigt, von Strolchen überfallen und ausgeraubt, von Psychopathen zusammengetreten und angeschossen, von einer ganzen Bande vergewaltigt und von kriminellen Rockern mißbraucht worden waren. Sie alle hatten diesen stumpfen Gesichtsausdruck, diese Augen von Ertrinkenden, dasselbe Wissen darum, daß sie irgendwie ihr Schicksal verdient hatten und völlig allein auf der Welt standen. Und oft vergrößerten wir ihren Schmerz und ihre Erniedrigung noch, indem wir die Verantwortung für diese Leiden ihrer eigenen Unvorsichtigkeit zuschrieben, damit wir selbst seelisch unverletzt blieben.
Ich war nicht fair zu Annie gewesen. Sie hatte selbst einiges im Leben durchmachen müssen, aber es gibt Zeiten, in denen man sehr allein auf der Welt ist und die eigenen Gedanken einem jedesmal ein paar Zentimeter mehr Haut vom Leib abziehen. Dies war ein solcher Moment.
Ich schlief in jener Nacht nicht. Aber die Schlaflosigkeit und ich waren alte Vertraute.
Zwei Tage später war die Schwellung zwischen meinen Beinen zurückgegangen, und ich konnte gehen, ohne dabei auszusehen, als wolle ich gerade über einen Zaun steigen. Der Sheriff kam heraus an die Bootsanlegestelle und berichtete mir, daß er mit der städtischen Polizei von Lafayette und mit Minos P. Dautrieve von der DEA gesprochen habe. Lafayette habe ein paar Detectives in die Bar von Eddie Keats geschickt, um ihn zu befragen, doch er hatte behauptet, an jenem Tag mit zwei seiner Tänzerinnen auf einer Segeltour gewesen zu sein. Und die beiden Tänzerinnen bestätigten die Aussage.
»Und die wollen das so einfach schlucken?« sagte ich.
»Was sollen sie Ihrer Meinung nach sonst tun?«
»Sich ein bißchen an die Arbeit machen und rausfinden, wo die beiden Mädchen vor zwei Tagen wirklich gewesen sind.«
»Wissen Sie, wieviel Fälle die zu bearbeiten haben?«
»Da hab’ ich kein Mitgefühl, Sheriff. Leute wie Keats kommen in unsere Gegend, weil sie glauben, sie hätten einen Freibrief. Was hatte denn Minos P. Dautrieve zu sagen?«
Das Gesicht des Sheriffs lief rot an, und die Haut um seine Mundwinkel verzog sich zu einem angedeuteten Lächeln.
»Ich glaube, er hat gesagt, Sie sollen Ihren Arsch schleunigst in sein Büro bewegen«, erwiderte der Sheriff.
»Waren das genau seine Worte?«
»Ich glaube, ja.«
»Warum ist er meinetwegen so wild?«
»Ich habe den Eindruck, er glaubt, daß Sie sich in Bundesangelegenheiten einmischen.«
»Weiß er etwas über einen Haitianer namens Toot?«
»Nein. Ich habe in Baton Rouge und beim National Crime Information Center in Washington angefragt und konnte nichts finden.«
»Wahrscheinlich ist er illegal eingewandert. Deshalb gibt es keine Akte über ihn«, sagte ich.
»Genau das hat Dautrieve auch gesagt.«
»Er ist ein gewiefter Cop.«
Ich entdeckte eine leichte Verlegenheit im Blick des Sheriffs, und sofort tat mir die Bemerkung leid.
»Nun, ich verspreche, daß ich mein Bestes geben werde, Dave«, sagte er.
»Ich weiß zu schätzen, was Sie bisher getan haben.«
»Ich fürchte, ich habe nicht gerade viel unternommen.«
»Schauen Sie, diese Typen sind schwer aus dem Verkehr zu ziehen«, sagte ich. »Ich habe mal zwei Jahre lang am Fall eines Killers vom Syndikat gearbeitet, der seine Frau vom Balkon im vierten Stock in einen leeren Swimmingpool gestoßen hatte. Er hat mir sogar erzählt, daß er es getan hat. Er ist glatt damit durchgekommen, weil wir ohne
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