Mississippi Delta – Blut in den Bayous (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
immerhin, wie man Bürokraten auf den Schwanz treten mußte – reihum ihre Vorgesetzten in Washington anrufen und sie in aller Form an ihre Informationspflicht zu erinnern, bis der Lack ab war. Warum, in Teufels Namen, hatte ich das nicht getan, fragte ich mich. Und als ich mir diese Frage zu beantworten versuchte, dämmerte mir die Erkenntnis, daß auch ich voller Anmaßung war und mich auf Leugnen und Abwiegeln verstand.
Kapitel 5
Als ich nach Hause kam, waren Annie und Alafair gerade dabei, Brathähnchenteile in Wachspapier einzuwickeln und die Thermosflasche mit gekühlter Limonade zu füllen. Ich saß bei einem Glas geeistem Tee mit Minzeblättern am Küchentisch und betrachtete durchs Fenster die Eichelhäher, die über dem Mimosenbaum im Hinterhof kreisten. Die Enten in meinem Teich schüttelten Wassertropfen aus dem Gefieder und watschelten ans Ufer in den Schatten, den die Trauerweiden spendeten.
»Mir ist wegen einer Sache ganz dumm zumute«, sagte ich.
»Darum kümmern wir uns heute abend«, sagte sie lächelnd.
»Ich meine was anderes.«
»Oh.«
»Vorjahren, als ich noch Streife gegangen bin, trieb sich in meinem Viertel ein seltsames Original herum, ein Stadtstreicher namens Doc Stratton. Das Sozialamt hat ihm regelmäßig einen Gutschein für Unterkunft und Verpflegung in einem seiner Vertragshotels in die Hand gedrückt, und er hat sich dort einquartiert und dann das ganze Mobiliar aus dem Fenster geworfen – Tische, Stühle, Kommoden, Lampen, Matratzen, einfach alles, was sich durchs Fenster zwängen ließ. Und alles landete krachend auf dem Bürgersteig. Dann rannte er schnell nach unten, bevor jemand die Bullen rufen konnte, und schaffte das Zeug zu einem Trödler. Aber was immer dieser Kerl auch machte, wir haben ihn nie eingelocht. Ich war noch neu und verstand das Ganze nicht. Meine Kollegen haben mir erzählt, das wäre deswegen, weil Doc ein Kotzer sei. Wann immer er nämlich hinten im Streifenwagen einen Finger freibekam, steckte er ihn sich tief in den Hals und kotzte die Sitze voll. Dasselbe machte er, wenn er zur Identifizierung mit anderen Leuten in einer Reihe stand. Er machte es in einer Haftzelle und im Gerichtssaal. Er hatte immer was parat und war bereit, jederzeit loszuspucken. Man konnte den Kerl so schwer in Schach halten, daß jedes Gefängnis damit drohte, lieber dichtzumachen, als ihn allmorgendlich an der Kette zum Rundgang zu führen. Also gestattete man Doc, Sozialarbeiter und Geschäftsführer von Vertragshotels jahrelang in den Wahnsinn zu treiben. Und wenn ein grüner Junge wie ich fragte, warum, speiste man mich mit einer glaubwürdigen Geschichte ab. Nur daß ich dann irgendwann dahinter kam, daß es einen ganz anderen Grund dafür gab, warum man Doc frei auf der Straße herumlaufen ließ. Er kannte nicht nur jeden Ganoven und Dieb in der Innenstadt von New Orleans, sondern er war Schlosser gewesen, bevor er sich das Gehirn mit Wermut eingeschmolzen hatte, und er konnte sich schneller in jedes Haus Einlaß verschaffen als jeder berufsmäßige Einbrecher. Es gab also bei uns ein paar Detectives im Raubdezernat und bei der Mordkommission, die sich seiner bedienten, wenn in einem Fall nicht alles nach Plan verlief. Einmal hatten sie Kenntnis davon bekommen, daß ein Killer aus Miami in der Stadt war, um einen Gewerkschaftssekretär umzulegen. Sie machten Doc weis, daß sie ihn zum Sonderagenten der Polizei von New Orleans ernannt hätten, und brachten ihn dazu, das Motelzimmer des Kerls zu knacken, seine Waffe, den Koffer, sämtliche Kleidungsstücke und Travellerschecks zu stehlen. Dann haben sie den Typ auf Verdacht festgenommen – es war ein Freitag, also konnten sie ihn bis Montag morgen festhalten – und zwei Tage lang zusammen mit drei Transvestiten in eine winzige Zelle eingesperrt.«
»Und die Pointe der Geschichte?« fragte Annie. Ihre Stimme war ausdruckslos, und ihr Blick schweifte zu den Baumkronen draußen, durch die die Sonne brach.
»Es gibt immer einen Grund dafür, wenn die Cops bestimmte Dinge und bestimmte Personen an einem Ort belassen.«
»Ich weiß, daß diese Leute, von denen du redest, komisch sind und außergewöhnlich und interessant und all das, Dave. Aber warum läßt du sie nicht in der Vergangenheit ruhen?«
»Du erinnerst dich doch noch an den Kerl von der Einwanderungsbehörde, der bei uns vorbeigekommen ist? Er ist doch nie wieder zu uns ins Haus gekommen, oder? Wenn er wollte, könnte er uns eine Menge Schwierigkeiten machen,
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