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Mississippi Delta – Blut in den Bayous (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Mississippi Delta – Blut in den Bayous (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Titel: Mississippi Delta – Blut in den Bayous (Detective Dave Robicheaux) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Lee Burke
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er. »Herrgott, Herrgott, was die Welt diesem kleinen Kind angetan hat.«
    Mit unverhüllter Trauer in den Augen schüttelte er den mächtigen Kopf.

Kapitel 6
    Am Tag von Annies Beerdigung regnete es. Eigentlich regnete es die ganze Woche über unaufhörlich. Das Wasser tropfte von den Bäumen, rann in kleinen Bächen von den Dachfirsten, bildete braune, von Blättern bedeckte Teiche im Hof, tränkte die Felder und das Zuckerrohr mit stumpfem, graugrünem Licht. Ihre Eltern kamen von Kansas heruntergeflogen. Ich holte sie vom Flughafen in Lafayette ab und fuhr sie im Regen zu einem Motel in New Iberia. Ihr Vater war ein massiger, flachsblonder Weizenfarmer mit breiten, schwieligen Händen und dicken Handgelenken, und er schaute schweigend aus dem Wagenfenster auf die regenverhangene Landschaft, rauchte eine Zigarre und sprach gerade genug, um nicht unhöflich zu erscheinen. Ihre Mutter war eine füllige mennonitische Landfrau mit sonnenhellem Blondhaar, blauen Augen und roten Wangen. Sie versuchte, die Distanziertheit ihres Mannes gutzumachen, indem sie über den Flug von Wichita nach hier, den ersten Flug ihres Lebens, redete. Doch sie konnte sich nicht auf das konzentrieren, was sie sagte, und sie schluckte oft, und ihr Blick schweifte ständig von meinem Gesicht ab.
    Sie hatten ihre Vorbehalte mir gegenüber gehabt, als ich Annie heiratete. Ich war ein geschiedener älterer Mann mit einer Alkoholgeschichte gewesen, und als Detective bei der Mordkommission hatte ich in einer von Gewalt beherrschten Welt gelebt, die den Landleuten von Kansas noch fremder war als mein Cajun-Akzent und mein französischer Name. Ich spürte, daß sie mich für Annies Tod verantwortlich machten. Zumindest tat das ihr Vater, da war ich mir ganz sicher, und ich hatte einfach nicht die Kraft, mich gegen diese unausgesprochene Anklage aufzulehnen – nicht einmal mir selbst gegenüber.
    »Die Beerdigung ist um vier Uhr«, sagte ich. »Ich bring’ euch zum Motel, wo ihr euch ausruhen könnt, und hol’ euch dann um halb vier von dort ab.«
    »Wo ist sie jetzt?« fragte ihr Vater.
    »Im Bestattungsinstitut.«
    »Ich möchte da hin.«
    Ich sagte nichts, schaute nur in sein großes, angespanntes Gesicht mit den weit auseinanderstehenden grauen Augen.
    »Der Sarg ist verschlossen, Mr. Ballard«, sagte ich.
    »Du bringst uns jetzt da hin«, sagte er.
    Wir beerdigten Annie im Grab meiner Familie auf dem alten Friedhof neben der St. Peter’s Church in New Iberia. Die Gruften waren aus Ziegel gemauert und mit weißem Mörtel verputzt. Die ältesten waren rissig, in die Erde eingesunken und von grünen Ranken überwachsen, die im Mörtel wurzelten. Der Regen fiel aus dem grauen Himmel nieder, Tropfen tanzten auf dem Ziegelweg vor dem Friedhof und trommelten auf den Baldachin aus Segeltuch über unseren Köpfen. Bevor die Angestellten des Bestattungsinstituts Annies Sarg in die Gruft senkten und ihn mit einer Marmortafel, die eine Inschrift trug, versiegelten, schraubte einer von ihnen das metallene Kruzifix vom Deckel ab und legte es mir in die Hände.
    Ich kann mich nicht erinnern, daß ich die anderen zur Limousine begleitet habe. Ich erinnere mich an die Leute unter dem Baldachin – ihre Eltern, Batist und seine Frau, den Sheriff, meine Freunde aus der Stadt –, aber ich kann mich nicht erinnern, wie ich vom Friedhof gegangen bin. Ich sah den Regen, der wirbelnd aus dem Himmel fiel, sah ihn auf den roten Ziegeln der Zufahrt und den schwarzen Spitzen des Eisenzauns glitzern, der den Friedhof umgab, spürte, wie er mir aus dem Haar in die Augen rann, hörte von irgendwo die Pfeife eines Zugs und Güterwaggons über die Schienen rattern, die mitten durch die Stadt verliefen. Und dann stand ich auf dem gepflasterten Rasen vor dem Bestattungsinstitut mit seinen hohen, imitierten Säulen aus Holz und der falschen Südstaatenfassade, die im trüben Licht die Farbe von Pappe hatte, und Autos starteten im Regen und fuhren davon.
    »Der Pickup ist hier drüben, Dave«, sagte Batist. »Komm jetzt. Wir haben Abendessen schon fertig. Du hast den ganzen Tag nichts gegessen.«
    »Wir müssen ihre Eltern zurück zum Motel bringen.«
    »Die sind schon weggefahren. He, zieh dir diese Jacke über den Kopf. Du willst doch nicht hier draußen stehenbleiben wie ’ne Ente, du?«
    Er lächelte mir zu. Auf seinem kanonenkugelrunden Kopf perlten Regentropfen, die großen Zähne sahen aus wie aus Walfischbein geschnitzt. Ich spürte, wie sich seine Hand um meinen Arm

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