Mississippi Delta – Blut in den Bayous (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Linien über Deiche und Reisfelder, doch alles vollzog sich völlig lautlos, und da unten waren keine Menschen. Ich sah das vor Angst angespannte Gesicht eines Bordschützen. Der Wind pfiff darüber, und es bebte vom Rattern der Waffe. Nur die Augen leuchteten heraus – zusammengekniffen im beißenden Kordit, feucht schimmernd ob der Bilder toter Wasserbüffel, rauchverhangener Dörfer und einer Landschaft wie unter Glas, wo Menschen sich wie Mäuse in Erdlöchern verkrochen. Seine Hände waren geschwollen und rot, die Finger zu einem Knoten um den Abzugsbügel geschlungen, herumfliegende Patronenhülsen glänzten kaleidoskopartig im Licht. Es gab keine Menschen mehr zu erschießen, aber was machte das schon – sein Daseinszweck war klar. Er war auf ewig diesem Stück Erde, das er verwüsten half, verhaftet und verfallen. Diesem Land, das seine Droge und Nemesis zugleich war. Die Stille des Traums war wie ein Schrei.
Ich erwachte vom Grollen eines Wetterleuchtens, ein Auto fuhr auf dem Sandweg neben dem Bayou vorbei. Die Ochsenfrösche quakten unten am Ententeich. Ich hatte kein analytisches Interesse an der Deutung von Träumen, die unvertrauten Gefühle und Mechanismen, die sie repräsentierten, verflogen stets bei Morgengrauen, und das war alles, worauf es ankam. Ich hoffte, daß sie eines Tages ganz verschwinden würden. Ich hatte einmal gelesen, daß Audie Murphy, der höchstdekorierte US-Soldat des Zweiten Weltkriegs, mit einer 45er im Bett schlief. Ich halte ihn für einen tapferen und guten Mann, doch bei manch einem wird die nächtliche Traumlandschaft heimgesucht von Kreaturen, die wie Ausgeburten eines Höllenschlunds sind. Die Griechen riefen Morpheus an, die Furien zu vertreiben. Ich wartete einfach auf eine trügerische Morgendämmerung, und manchmal, wenn ich Glück hatte, schlief ich wieder ein, bevor sie einsetzte.
Doch diese Nacht war von zu vielen Geräuschen erfüllt, zu vielen Erinnerungssplittern, die an der Schwelle zum wachen Bewußtsein nagten wie Ratten, als daß ich so leicht wieder hätte Schlaf finden können. Ich streifte mir Sandalen über, goß mir in der Küche ein Glas Milch ein und ging in meinen Sporthosen hinunter zum Ententeich. Die Enten hatten sich im Schatten der Rohrkolben aneinandergeschmiegt, und der Mond und die erleuchteten Wolken wurden im samtigen Wasser so vollkommen widergespiegelt, als habe man sie unter dunklem Glas eingefangen. Ich saß auf einer Bank neben der eingefallenen Scheune am Ende meines Grundstücks und schaute im Mondlicht hinüber auf die Weide meines Nachbarn und auf sein Zuckerrohrfeld. An der Scheunenwand hinter mir, deren rote Farbe längst abgeblättert war, hing ein 35 Jahre altes Blechreklameschild von HADACOL. Hadacol war von einem Bundessenator aus Abbeville hergestellt worden, und es enthielt nicht nur genug Vitamine und Alkohol, um Tote zu erwecken, sondern der Kartondeckel galt auch als Bon für die Wanderschau von Hadacol, auf der in nur einem Jahr so berühmte Leute wie Jack Dempsey, Rudy Vallee und ein über zwei Meter großer kanadischer Riese aufgetreten waren. Ich schwelgte in Erinnerungen an die Unschuld jener Epoche, in der ich großgeworden war.
Dann sah ich im Süden das Hitzegewitter grell aufflammen, und plötzlich kam eine Brise auf, zerteilte das Mondlicht, kräuselte das Wasser und bog das Laub der Pecanobäume in meinem Vordergarten. Die Kühe auf der Weide hatten sich bereits zusammengedrängt, und ich konnte Regen und Schwefel riechen und spürte, daß der Luftdruck fiel. Ich trank die Milch in meinem Glas leer, lehnte mich mit geschlossenen Augen an die Scheunenwand, atmete die feuchte Kühle, die der Wind herantrug und stellte fest, daß ich in dieser Nacht mühelos die Schlaflosigkeit besiegen und zurück ins Bett gehen und bei meiner Frau schlafen konnte, während der Regen an den Fensterventilator klatschte.
Doch als ich die Augen wieder aufschlug, sah ich die Umrisse zweier schwarzer Gestalten, die schnell und geschmeidig wie Nachttiere aus dem Dunkel der Pecanobäume in meinem Vorgarten heraustraten, aus meinem Gesichtsfeld verschwanden und zur vorderen Veranda schlichen. Schon als ich auf die Füße sprang und die Augen weit aufriß in dem vergeblichen Wunsch, daß ich nur Schatten und nichts sonst gesehen hätte, sank mir das Herz in der schrecklichen Erkenntnis, die mich erst ein einziges Mal blitzartig überkommen hatte: als ich in Vietnam das Klack der Mine unter meinem Fuß gehört hatte. Schon als ich
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