Misstrauen Sie dem unverwechselbaren Geschmack
absoluten Bruchs ist vermutlich das zentrale Spannungselement in meinen Werken.)
Unser »Jetzt« ist heute zugleich gnadenlos kurz und so ausgedehnt wie nie zuvor. Die Halbwertzeit der Medienprodukte wird immer kürzer, alles folgt einer seltsamen Quantenlogik; die Warholschen fünfzehn Minuten reduzieren sich auf das Aufblinken eines Quarks. Geht etwas in das Pantheon des kulturellen Kanons ein, kann es uns unter Umständen aber auch sehr lange erhalten bleiben. Dieses Fortbestehen zu ermöglichen, ist im Großen und Ganzen der Zweck des Rückspulknopfes. Und eigentlich wünschen wir uns bis zu einem gewissen Grad alle, Teil dieses Pantheons zu werden.
Während unsere Fähigkeit zur Erinnerung (und damit der Rekommodifizierung) stetig wächst, erscheint die Geschichte selbst mehr und mehr als Konstrukt, das ständigen Änderungen unterworfen ist. Als Spezies versuchen wir, durch die Schaffung und Erhaltung externer Gedächtnismaschinen den Fluss der Zeit einzudämmen. Was wird mit uns passieren, wenn all diese Maschinen irgendwann miteinander verschmelzen – wie es sich jetzt schon abzuzeichnen beginnt?
Der Endpunkt der menschlichen Kultur ist womöglich ein einzelner Moment, der ewig währt, ein endloses digitales Jetzt.Aber vielleicht wird es am Ende all unserer Anfänge doch gar nichts wirklich Neues geben, und der Bison ist schon da und wartet auf uns.
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Ich möchte die Gelegenheit nutzen, mich bei den Redakteuren von Forbes (genauer gesagt, von Forbes ASAP ) zu bedanken, die mir für diesen Essay freie Hand ließen und später auch nicht darin herumpfuschten. Ich benutze ihn schon seit zehn Jahren als Steinbruch für Ideen – relativ bewusst, wenn ich Reden schreibe, und eher unbewusst, aber dafür häufiger, beim Verfassen meiner Romane.
Er wurde mir von einem Teil meines Unterbewusstseins diktiert, der sich so direkt nur selten zu Wort meldet. Ich wünschte, es würde öfter geschehen, aber ich bin froh über alles, was da kommt.
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Rede für die Directors Guild of America, Los Angeles
Mai 2003
Die Geschichte des Films beginnt an einem Feuer, in der Dunkelheit. Um das Feuer haben sich Primaten einer bestimmten Spezies versammelt – unsere Vorfahren, eine Tierart, die sich durch die erstaunliche Fähigkeit der Mustererkennung auszeichnet.
Im Feuer herrscht Bewegung: Die Glut flackert und kriecht über verkohltes Holz. Der Anblick des Feuers ist mit nichts zu vergleichen. Es erzeugt Licht im Dunkeln. Es bewegt sich. Es ist lebendig.
Im umliegenden Wald ist es finster. Ist es derselbe Wald, den unsere Vorfahren bei Tage kennen? Sie sind sich nicht sicher. Nachts verwandelt er sich in einen anderen Ort. Er wird zur Leinwand, auf die unsere Vorfahren die Muster projizieren, die ihre auf interessante Weise mutierten Gehirne hervorbringen.
Diese Mutation, die die Fähigkeit der Mustererkennung erzeugte, ist entscheidend für das Überleben einer Spezies, die unermüdlich jagen und sammeln muss. Diese Pflanze ist essbar, sie wächst im Sommer auf jener Ebene. Isst man jedoch ihre Samenkapseln, wird man krank und stirbt. Das große, schwerfällige Flusstier kann man im Uferbereich überraschen und töten, im tiefen Wasser aber entkommt es.
Diese Fähigkeit ist bei unseren Vorfahren bereits so stark ausgeprägt, dass sie die Umrisse des Flusstiers in Wolken erkennen. Im Feuer sehen sie die Gesichter von Wölfen und von ihren eigenen Toten. Sie sind fähig, abstrakt zu denken. Die gesprochene Sprache ist ihnen schon selbstverständlich, mögensie auch noch nicht über eine Schriftsprache verfügen. Sie ritzen Muster in rechteckige Lehmstücke – gegenwärtig die älteste bekannte menschliche Kunst.
Sie kauern um das Feuer herum, beobachten seine steten, unvorhersehbaren Bewegungen und erzählen sich Geschichten. Und genau darin liegt der Ursprung dessen, was wir derzeit noch als »Film« bezeichnen.
Unzählige Generationen später kauern die Nachfahren dieser Primaten in der Tiefe einer Höhle, wo ewige Nacht herrscht, und malen im rastlosen Licht von Talg und Schilfgras. Sie malen die Wölfe und das Flusstier, die Götter und die Toten. Sie haben das Feuer gezähmt und nutzen es vielseitig. Hier in der Höhle herrscht Dunkelheit, sie müssen nicht erst auf die Dämmerung warten. Talg und Schilfgras liefern zuverlässiges Licht. Zum ersten Mal wird etwas von innen nach außen transportiert: Die Bilder des Muster erzeugenden Gehirns werden auf die Höhlenwand projiziert und dort festgehalten. Der
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