Misstrauen Sie dem unverwechselbaren Geschmack
großem Maße von der technologischen Entwicklung bestimmt. Vom Aussterben der Megafauna Nordamerikas bis zur aktuellen geopolitischen Bedeutung des Nahen Ostens – Technologie ist der Motor für Veränderung. (Bei derMegafauna war es übrigens die Technologie der Speerjagd und beim Nahen Osten der Verbrennungsmotor.) Nur selten werden in Ländern Gesetze zu neuen Technologien erlassen.
Das Internet, ein beispielloser Motor für Veränderung, ist wie so vieles andere völlig zufällig entstanden – aus einem unvermuteten Schulterschluss zwischen einem DARPA-Projekt und der im Entstehen begriffenen Computerindustrie. Hätten die Staaten das Potenzial des Internets von Anfang an erkannt, hätten sie es vermutlich noch in der Wiege erdrosselt. Neu entstandene Technologien lassen sich naturgemäß nicht beherrschen und können unvorhersehbare Folgen haben.
Und genau so verhält es sich auch mit dem Digitalen. Wir sollten den Computer nicht als rätselhafte neue Technologie begreifen, sondern als Teil einer jahrtausendealten Entwicklung: Auch er dient dazu, unser Nervensystem mit einer Art Prothese zu erweitern – und gehorcht damit dem Drang, den unsere frühesten Vorfahren an ihren Kochfeuern schon verspürten.
Wir nennen den Film heute immer noch »Film«, obwohl sich die ihm zugrunde liegende Technik gewandelt hat. Findet heute noch Filmmaterial im klassischen Sinne Verwendung, dann handelt es sich lediglich um ein Artefakt des Plattformübergangs und der industriellen Ökonomie. Der Ansicht, klassisches Filmmaterial sei in ästhetischer Hinsicht überlegen, stehe ich genauso skeptisch gegenüber wie den Verteidigern der Vinylschallplatte. Das digitale Bild mag noch ein paar Schwächen haben, aber es wird sicher auch digitale Möglichkeiten geben, diese zu beheben.
An dieser Stelle möchte ich auf eine Industrie zu sprechen kommen, die die historischen Auswirkungen der digitalen Revolution längst zu spüren bekommen hat: die Musikindustrie. Bevor Tonaufnahmen möglich wurden, konnte man mit Musik kaum ernsthaft Geld verdienen. Musiker konnten für Geld auftreten, und die Erfindung der Druckerpresse führte zur Entstehungeines ganzen Industriezweiges, der auf die Verbreitung von Notenblättern spezialisiert war. Ruhm und Reichtum waren jedoch in der Regel nur durch einen Mäzen zu gewinnen. Mit der Möglichkeit, Töne aufzuzeichnen, entstand eine Industrie, deren Geschäftsmodell auf dem technologischen Monopol auf die entsprechenden Produktionsmittel basierte. Gewöhnliche Menschen konnten Tonaufnahmen weder anfertigen noch produzieren. Mit diesem Monopol ist es inzwischen wieder vorbei. Manche Futuristen meinen, wir würden uns auf eine neue Variante der früheren Situation zubewegen und Musiker könnten in Zukunft wieder nur mithilfe eines Mäzens (einem Unternehmen oder einer gemeinnützigen Organisation) reich und berühmt werden.
Das Zeitfenster, das zur Entstehung eines Phänomens wie den Beatles führte, war demnach technologisch bestimmt und geht seinem Ende entgegen, weil die Mittel zur Produktion, Reproduktion und Verbreitung von Tonaufnahmen heute komplett digitalisiert und deshalb für jedermann zugänglich sind. Häufig erhält man sie beim Kauf eines Peripheriegerätes sogar kostenlos als Zubehör.
Den Einfluss des Digitalen auf die Musik erwähne ich hier hauptsächlich als Beispiel für die unvorhersehbare Natur des technologisch bedingten Wandels. Möglicherweise wird das Digitale dem Geschäftsmodell des populären Musikstars irgendwann völlig die Grundlage entziehen. Wenn das passiert, wird es eine Veränderung sein, die nicht beabsichtigt war und von kaum jemandem vorhergesehen wurde. Es handelt sich dabei auch nicht um die Auswirkung einer einzelnen neuen Technologie, sondern um die komplexe Interaktion zwischen vielen verschiedenen. Der Unterschied lässt sich erkennen, wenn man den ursprünglichen Protest der Musikindustrie gegen »private Aufnahmen« mit der heutigen Situation vergleicht.
Wie immer die Veränderungen in der Filmbranche aussehenwerden, sie werden genauso unvorhersehbar und unaufhaltsam sein. Die Praxis des Raubkopierens und die Debatte um geistiges Eigentum stellen dabei nur die Spitze des Eisbergs dar. Das Produkt der Musikindustrie ist noch vergleichsweise simpel und traditionell, der Aufwand für Tonaufnahmen gering.
Ein für den Film sehr wichtiges Thema ist das Sampeln. Musik zu sampeln wird möglich, weil der Endverbraucher heute im Besitz von Technologien
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