Misstrauen Sie dem unverwechselbaren Geschmack
Cricket, die in den späten Vierzigern auf den Markt gekommen war und einen Wecker besaß, der wie eine große mechanische Grille klang. So eine hatte ich mir schon länger gewünscht, weil die älteren Modelle einfach fantastisch aussehen und der Name »Vulcain Cricket« so herrlich poetisch klingt.
Ich fand ein schönes Modell im Angebot bei Vince und Laura von Good Timing, die sich eine Art Marktstand im Cyberspace geschaffen haben, indem sie all ihre Waren mit »(GOOD TIMING)« kennzeichnen. Die meisten Waren sind bei eBay quasi auf derselben riesigen Decke ausgebreitet.Durch ihr Kennzeichen gelang es Vince und Laura dagegen sehr schnell, sich einen gewissen Ruf zu erwerben.
Der Versuch, mich von meiner Sucht zu befreien, war weitgehend erfolgreich. Vielleicht weil durch meinen Beschluss, teure Uhren zu kaufen, das Durchsuchen der Website vom Vergnügen zur lästigen Pflicht wurde. Hatte ich vorher nur mit beiläufigem Interesse vor dem Computer gehangen, so als würde ich einen Homeshoppingsender schauen, der mich wirklich interessiert, hatte ich jetzt das Gefühl, Immobilien zu kaufen. Zu investieren. Zu sammeln.
Ich hatte immer gehofft, mich nicht zum Sammler zu entwickeln.
Inzwischen ist der Uhrenbereich bei eBay nicht mehr die erste Seite, die ich morgens öffne. Tage vergehen, ohne dass ich auch nur einen einzigen Klick beitrage.
Vielleicht besitze ich inzwischen auch einfach genug Armbanduhren.
Allerdings finde ich es erstaunlich, wie schnell eBay es mir ermöglicht hat, mit dieser Konsumobsession abzuschließen. Von Anfang bis Ende hatte es kaum ein Jahr gedauert. Wie lange hätte meine Leidenschaft für klassische Uhren wohl ohne eBay Bestand gehabt? Wäre ich zu Verkaufsmessen gegangen? Hätte ich reisen müssen? Wären vielleicht Jahre vergangen? Hätte ich diese Leidenschaft überhaupt entwickelt?
Wahrscheinlich nicht.
An einem kühlen, nebligen Morgen in Istanbul 1970 stand ich auf dem Kapalı Çarşı, dem Großen Basar, unter einem Sonyschild, das futuristisch und fremdartig aussah, und starrte in einen Glaskasten voller winziger, uralter und faszinierender Dinge.
An diesem ehrwürdigen Ort, wo es, wie ich gehört hatte, ein Café gab, das buchstäblich seit Jahrhunderten jeden Tag rundum die Uhr geöffnet hatte, hinterließ dieses Sonyschild – es war sehr groß, erinnerte im Nachhinein an Blade Runner und wurde auf eine mir damals unbekannte Weise beleuchtet – einen tiefen Eindruck. Ich wohnte auf einer griechischen Insel, einem archäologischen Schutzgebiet, wo Autos verboten waren, und machte Urlaub in der Vergangenheit.
Der Glaskasten war der Laden eines Mannes, der mit Kuriositäten handelte. Wenn ich auf einen bestimmten Gegenstand deutete, den ich mir genauer ansehen wollte, holte er ihn widerstrebend daraus hervor – wie ein menschlicher Greiferautomat in einer Spielhalle. Er benutzte dazu ein Paar langer Stäbchen aus künstlichem Elfenbein, die mit einer Stahlfeder ausgestattet waren und selber antiken Wert besaßen. Ihre gebogenen Spitzen waren mit Gummibändern umwickelt, um ihnen besseren Halt zu verleihen.
Damit reichte er mir eine wunderschöne Halskette aus apricotfarbenen Edelsteinen mit blutroter Ader in der Mitte. Ich kaufte sie, um sie dem Mädchen zu schenken, das ich später heiraten würde. Darüber hinaus erwarb ich ein kaputtes Schweizer Feuerzeug mit ausgeklügelter Mechanik, vermutlich aus dem Jahr 1911, dessen mit einem Firmenzeichen versehenes Silbergehäuse krude zusammengelötet und mit merkwürdigen, fernöstlichen Sigillen geschmückt war.
Dieser Moment war wahrhaft futuristisch: Hier, unter einem Sony-Werbeschild, waren sämtliche Aspekte der Welt versammelt, auf die wir zusteuerten: eine sich entwickelnde Technologie – eine Karte, die schon bald von innen nach außen gestülpt werden und die das Gebiet schlucken würde, das auf ihr dargestellt war – sollte zu einem eigenständigen Ort, einer eigenen Stadt werden. Und in dieser Stadt würde der Basar liegen.
Ich bin sehr froh, dass es immer noch einen Ort für den Tauschhandel gibt. Selbst hier, in dem Territorium, das einstmals nur eine Karte war.
----
Meine Güte, dieser Artikel bräuchte dringend einen Haarschnitt! Er ist mindestens doppelt so lang wie nötig und trieft nur so vor belanglosen Details. Da habe ich wohl ein bisschen zu viel Kaffee getrunken. Ich bitte um Entschuldigung. Er schildert meine verspätete Ankunft im Cyberspace – sollte das jemanden interessieren – und ist
Weitere Kostenlose Bücher