Misstrauen Sie dem unverwechselbaren Geschmack
zugleich ein weiterer Beweis dafür, wie wenig ich über dieses Thema wusste (und weiß).
Ich hatte nur eine ungefähre Ahnung von dem, worüber ich da schrieb – wie meistens, wenn ich mich mit neuen Technologien befasse oder Verallgemeinerungen über spezielle Wissensgebiete treffe, die mir noch kaum bekannt sind. Damals stand ich, ohne es zu wissen, an einem Scheideweg. In der Folgezeit lernte ich noch weitaus mehr über klassische Uhren. So viel, dass ich heute mit einiger Gewissheit sagen kann, dass ich über das Thema mehr vergessen habe, als ich momentan darüber weiß. Dieser überlange, im Koffeinrausch verfasste Artikel war lediglich ein Auswuchs jener Aufregung, die ich am Anfang einer langen, steilen und herrlich überflüssigen Lernkurve verspüre.
Leser dieses Artikels denken häufig, dass ich danach zu einem Uhrensammler geworden bin. Dazu ist es, jedenfalls bisher, nicht gekommen. Sammlungen und Sammler waren mir immer suspekt. Mitunter trage ich eine größere Zahl bestimmter Gegenstände zusammen, aber mir geht es dabei eher um das Eintauchen in ein spezielles Wissensgebiet. Das Streben nach Fachkenntnissen. Meine Leidenschaft für Uhren dauerte in ihrer reinen Form etwa fünf oder sechs Jahre an. Die Uhren, die in diesem Artikel erwähnt wurden, waren letztlich doch keine wirklichen »Sammlerstücke«. Zumindest nicht für mich.
Ich kaufte eine ganze Reihe alter Uhren oder Teile davon und verkaufte sie wieder, wodurch ich nach und nach mit einer bunt gemischten Gruppe von echten Überexperten aus aller Welt bekannt wurde. Es war … pynchonesk! No. 49 fand ich zwar nicht, lernte jedoch mindestens zwei Leute kennen, die behaupteten, bei seiner Versteigerung dabei gewesen zu sein (wobei einer von ihnen meinte, es hätte sich nur um eine clevere Fälschung gehandelt). Eine seltsam intensive Erfahrung, die zu einigen dauerhaften und sehr netten Freundschaften führte.
Heute besitze ich nicht mehr Uhren, als ich Finger habe, und bin gerade dabei, sie Stück für Stück wieder zu verkaufen (die Uhren, nicht die Finger). Ich bin also einigermaßen sicher, das Virus losgeworden zu sein.
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Wired
September 2001
Ich wünschte, ich würde für jeden Journalisten, der mich in den letzten zehn Jahren gefragt hat, warum Japan für Futurologen heute immer noch genauso sexy ist wie in den Achtzigern, einen Tausend-Yen-Schein bekommen. Dann würde ich eines dieser makellos sauberen Taxis mit der verzierten Polsterung nach Ginza nehmen und meiner Frau eine kleine Schachtel der teuersten belgischen Schokolade im ganzen Universum kaufen.
Heute Abend bin ich wieder in Tokio, um mein Gefühl für diese Stadt aufzufrischen, zu schauen, wie es hier nach dem Platzen der New-Economy-Blase aussieht. Ist man, wie ich, der Ansicht, dass kulturelle Veränderungen im Wesentlichen auf neue Technologien zurückgehen, gibt es einige gute Gründe, den Japanern auf die Finger zu schauen.
Während ich an einem mit Plastikplanen verhangenen Nudelimbiss in Shinjuku ein spätes Abendessen zu mir nehme – die typische Szenerie auf den Straßen Tokios, besser als Blade Runner –, schiele ich zum Handy meines Nachbarn hinüber, der gerade eine SMS liest. Das Handy ist dünn wie eine Oblate, glänzend weiß lackiert, mit abgerundeten Kanten, und sieht sehr zerbrechlich aus. Über sein Display zuckt eine Miniaturversion der Neonlichtshow Shinjukus. An dem Gerät hängt eine Handykette, die an einen Rosenkranz erinnert und vor Krebs schützen soll. Die meisten Leute hier haben eine. Sie soll angeblich Mikrowellen ablenken und vom Gehirn wegleiten. Das Kettchen sieht gut aus – eine tolle Requisite für Romanschriftsteller–, ist aber wahrscheinlich nicht das Fortschrittlichste, was es in dem Bereich gibt.
Seit meinen Anfängen als Schriftsteller ist Tokio für mich die beste Quelle für Requisiten. In dieser Stadt gehen einem förmlich die Augen über. In der Straßenlandschaft Tokios sieht man mehr Sedimentschichten futuristischen Designs als irgendwo sonst auf der Welt. Immer neue, übereinander gebaute Versionen von Tomorrowland, und wenn eine Schicht bröckelt, kommt darunter eine ältere zum Vorschein.
Das glänzende Handy mit dem Antikrebs-Kettchen ist als Requisite brauchbar, wie sieht es aber mit dem Rest des Landes aus? Die Blase ist geplatzt, sämtliche Wirtschaftspläne erwiesen sich seither als Debakel, ein politischer Skandal folgt dem nächsten … Ist das die Zukunft?
Ja. Zumindest ein Teil davon, und es ist
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