Misstrauen Sie dem unverwechselbaren Geschmack
trotzdem erstaunlich realen Colt M1911.
Sonntag abends sah ich die Dokumentarfilmserie Twentieth Century auf CBS, gefesselt von der ungeheuer vernünftigenStimme Walter Cronkites, der die unvorstellbar komplexe und merkwürdige historische Realität erläuterte, in der ich lebte. Ich erfuhr vom sogenannten D-Day , von den Konzentrationslagern, der Atombombe und dem Kalten Krieg. Mit den beiden letztgenannten Dingen nährte Cronkites gelassene Erzählung meine heimlich wachsende Furcht vor dem, wohin Geschichte und Wissenschaft (oder Geschichte als Science Fiction?) uns mit großer Wahrscheinlichkeit führen würden.
Auf dem Weg zur Schule kam ich nicht nur an dem Haus vorbei, in dem ich den Zweiten Weltkrieg entdeckt hatte, sondern auch am Postamt, wo seit Neuestem Metallschildchen mit dem schwarzgelben Civil-Defense-Symbol hingen, die auf einen Atomschutzraum hinwiesen. Sirenen und ein sogenanntes »System« wurden regelmäßig getestet, und am Drehknopf meines ersten Transistorradios war zweimal dieses Symbol angebracht, als Hinweis auf die beiden Civil-Defense-Frequenzen.
Nachdem ich von Wells und seinen literarischen Nachfolgern im Geiste befreit worden war und ungehindert die Zeitlinie hinauf- und hinabwandern konnte, war ich nun auf den Dritten Weltkrieg und das Ende der Zivilisation gestoßen.
Wells hatte dieses Ende lange vor mir vorausgesehen. Die Vision der absoluten Katastrophe – herbeigeführt von einer grundlegenden Unreife der menschlichen Spezies –, die zumindest zeitweise der modernen Geschichte und dem technologischen Fortschritt ein Ende setzt, hatte ihn im Laufe seines Lebens immer wieder heimgesucht. Während des Ersten und des Zweiten Weltkriegs hatte er vermutlich täglich damit gerechnet. Und in den Jahren kurz vor seinem Tod, als die Atomenergie zum ersten Mal für militärische Zwecke eingesetzt wurde, musste sie ihm erneut deutlich vor Augen gestanden haben.
Bereits 1905 hatte er das Ende der Zivilisation mit der Vorstellung verbunden, dass Bomben aus der Luft gegen Zivilisteneingesetzt werden könnten, doch dann erlebte er mit, wie Zeppeline Bomben über London abwarfen, und danach kam der Blitz und die Erfindung der deutschen Rakete. In Die Zeitmaschine gehören Kriege der Vergangenheit an. Sie sind etwas, das auf dem Weg zu einer sicheren, rationalen Gesellschaft überwunden werden musste.
Was für mich damals allerdings kaum eine Rolle spielte. Der Kalte Krieg wurde immer heißer, und ich rechnete jeden Moment damit, dass das Heulen der Sirenen losging und wir im Keller des Postamts Schutz suchen mussten. Die Fernsehverfilmung des bekannten Romans Alas, Babylon von Pat Frank, der in einer Kleinstadt in Florida unmittelbar nach einem Atomkrieg spielt, hatte mein Schicksal besiegelt. Mir dämmerte eine Erkenntnis á la Sartre: »Die Hölle, das sind die anderen«. Die Furcht, die ich insgeheim ständig empfand, gründete sich auch auf der Überzeugung, dass meine Nachbarn sich in der stickigen Dunkelheit eines Civil-Defense-Atomschutzraums als die wahren Morlocks herausstellen könnten.
Die Zeitmaschine benutzte ich deshalb in erster Linie zur Wirklichkeitsflucht. Ich sehnte mich nach Wells’ Auslassungen, dem Vorspulen in die Zukunft, »die Nacht folgt dem Tag wie das Flattern eines schwarzen Flügels«. Die schreckliche, unvermeidliche Geschichte, die mich erwartete, wollte ich möglichst weit hinter mir lassen. Mit absoluter Deutlichkeit sah ich die Haubitzen aus dem Zweiten Weltkrieg auf dem Rasen vor dem Gerichtsgebäude der Stadt stehen, während die Überreste Chicagos vom Himmel herabrieselten, der in einer neuen, tödlichen Klarheit erstrahlte.
Damals begriff ich noch nicht, dass sich Wells in Die Zeitmaschine das Ende der Menschheit viel umfassender und konsequenter ausgemalt hatte, als ich es für Amerika voraussah. Die pervers schöne Melancholie, die den Garten der Eloi erfüllt, ist nicht der verborgenen Unterwelt der Morlocks oder derengrausiger Symbiose mit ihren ehemaligen Herren geschuldet, sondern der wunderbaren und vorsätzlichen Weltvernichtung, die Wells für seine Leser betrieben hat. Andere Autoren vor und nach Wells machten sich ebenfalls einen Spaß daraus, die großen Monumente ihrer Zeit in ihren Werken in Schutt und Asche zu legen, doch dem Palast aus grünem Porzellan kann an symbolischer Eleganz und tristem Realismus kaum etwas das Wasser reichen.
Der Palast erweist sich als Ruine eines Museums. Eine einfache Schachtel Streichhölzer, die in
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