Misstrauen Sie dem unverwechselbaren Geschmack
Versuche, wie ein Akademiker zu klingen (vermutlich, weil ich das einfach nicht bin).
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Time 19. Juni 2000
Vielleicht. Aber nicht sehr oft und wahrscheinlich nicht sehr lange.
Die toughen Cyberpunk-Typen der Science Fiction mit ihren smarten schwarzen Anzügen und chirurgisch implantierten Siliziumchips umweht heute bereits ein Hauch romantischer Nostalgie. Sie sind die Straßenräuber der Datenautobahn, Verwandte der »Dampfkraftbanditen« der viktorianischen Technofiktion: so heldenhaft an die neue Technologie angepasst, dass sie sich ihr buchstäblich ans Messer geliefert haben. Sie sind eins mit ihr geworden, haben sie in sich aufgenommen.
So, wie wir inzwischen alle. Uns scheint überhaupt keine andere Wahl zu bleiben, als die Technologie in uns aufzunehmen.
Im Rückblick betrachtet haben die einprägsamsten Bilder der Science Fiction oft mehr mit den Ängsten der Vergangenheit (der Gegenwart des Autors) zu tun als mit unserem Leben als Spezies: unsere echte Zukunft und unsere Gegenwart.
Auch heute noch haben viele Menschen das Gefühl, ein Siliziumchip sei in ihr Hirn eingepflanzt worden. Und die meisten sind nicht sonderlich glücklich darüber. Sie wünschen sich, dass die allgegenwärtigen Computer aus ihrem Leben verschwinden mögen – eine Aussicht, die zunehmend unwahrscheinlicher erscheint.
Dennoch bedeutet das für mich nicht, dass wir als Spezies eines Tages so tief sinken werden, uns einen Chip einsetzen zu lassen. Und wenn auch nur deshalb, weil der Chip uns dann mitgroßer Sicherheit genauso altmodisch vorkommen wird wie die Vakuumröhre oder der Rechenschieber.
Aus Sicht der Biotechnik ist ein Siliziumchip ein großer und relativ komplexer Glassplitter. Einen Siliziumchip in das menschliche Gehirn einzupflanzen hat etwas furchtbar Unelegantes an sich. Etwa so, als wollte man eine kleine Dampfmaschine in das Gewebe einsetzen. Technisch mag es möglich sein, aber warum sollten wir so etwas tun?
Die Medizin und das Militär werden sicherlich Gründe finden, es zu versuchen, wobei es der Medizin vermutlich darum gehen wird, behinderten Menschen das Leben zu erleichtern. Würde ich mein Augenlicht verlieren, wäre ich sofort bereit, einen chirurgischen Eingriff über mich ergehen zu lassen, der eine Videoverbindung zu meinem Sehnerv herstellt (Und wenn wir schon dabei sind, warum nicht auch gleich Kabelanschluss und Web-Browser?). Dem Militär ginge es vermutlich um den zunehmend obsoleten Beruf des »Kampfpiloten« oder darum, Waffen aus großer Entfernung zu steuern. Immerhin sorgt die Vorstellung, sich einen taktischen Glassplitter in den Kopf einpflanzen zu lassen, auch heute noch für machohaftes Erschauern, und im Namen von König und Vaterland sind gewiss schon verrücktere Dinge geschehen.
Sollten wir solche Versuche allerdings wirklich jemals durchführen, dann sicher nicht sehr lange. Inzwischen sind längst Modelle des biologischen und nanomolekularen Rechnens im Umlauf. Statt ein Hardwareteil mit unseren grauen Zellen zu verbinden, ist es doch viel eleganter, Hirnzellen aus dem Kopf herauszuholen, um sie in einer Petrischale mit einem gelatineartigen, datenverarbeitenden Glibber zu veredeln. Dann schaufelt man alles wieder in den Kopf rein und lässt es auf der Basis von Blutzucker laufen, wie den Rest des Gehirns. Sämtliche Funktionen und Eigenschaften, die man sich wünschen kann, können so ohne das klobige Hardwarezeugs aus dem 20. Jahrhunderterreicht werden. Zum Rechnen braucht man kein komplexes Glas – und datenverarbeitender Glibber ist wahrscheinlich sogar leichter herzustellen. (Die einzige Schwierigkeit besteht darin, Daten in etwas zu verwandeln, was Gehirnzellen verstehen können. Wenn wir ihnen erstmal beigebracht haben, mit Pull-down-Menüs umzugehen, wissen wir alles über Gehirnzellen, was es zu wissen gibt. Punkt. Und wir sind auf dem besten Weg dahin.)
Unsere Hardware wird eher uns ähneln als wir unserer Hardware. Sie verändert sich mit Lichtgeschwindigkeit, während wir noch immer weitgehend ein Produkt der Natur sind.
Es gibt auch noch ein weiteres Argument, das gegen die Notwendigkeit spricht, uns Rechenmaschinen, seien sie nun aus Glas oder Glibber, einpflanzen zu lassen. Ein sehr einfaches, so einfach, dass es mitunter schwer zu begreifen ist. Es hat mit der altmodischen Unterscheidung zwischen der Rechenmaschine und dem Rest der Welt zu tun. Zwischen dem Virtuellen und dem Realen.
Ich möchte stark bezweifeln, dass unsere Enkel noch den
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