Misstrauen Sie dem unverwechselbaren Geschmack
Computerspielladen, den ich mir vorgestellt hatte, und während Claire ihre Auswahl trifft, kommt mir in den Sinn, dass dieser Ort, eher jedenfalls als die üblichen Verdächtigen, die Geburtsstätte des Garagen-Kubricks sein könnte.
Vielleicht wird sich auch eine ganze Kultur solcher Künstler entwickeln, weil sich das Erschaffen digitaler Kulissen für einen Einzelnen als zu schwierig erweisen könnte. Man könnte sich einen Spezialmarkt vorstellen, wo Mustervorlagen für amerikanische Vorstädte, das Innere von Einkaufszentren oder Autoverfolgungsjagden verkauft werden. Von den einzelnen Enthusiasten können sie dann den eigenen Vorstellungen entsprechend angepasst werden. Womöglich werden manche Leute die von ihnen entwickelte Kulisse an andere verleihen, damit diese sie modifizieren, ergänzen, zurechtschneiden oder sampeln können.
Was mich sehr nachdenklich stimmt, weil das Konzept dem gegenwärtigen Hollywood gar nicht so unähnlich ist: eine »Industrie« im Netz.
Der Garagen-Kubrick murmelt etwas, wischt sich die verschwitzten Hände an seiner schmutzigen Kakihose ab und verschwindet wieder in seiner Garage. Er will das alles nicht, weil er der Autor ist.
Wieder zurück im Marmont schauen wir uns 20 Dates an, einen Film von Myles Berkowitz. »Da ist der Laden, wo wir die Austin-Powers-Zähne gekauft haben!«, ruft Claire begeistert.
20 Dates wurde größtenteils hier in der Gegend gedreht, wir erleben also eine Art örtlich begrenztes Déjà-vu, ein Gefühl von umgekehrter Vérité. Wir sitzen hier und schauen uns Aufnahmen von Orten an, die nur wenige Straßenzüge entfernt liegen, und fühlen uns – auf angenehme Weise – weniger real.
20 Dates hat etwa 65 000 Dollar gekostet. Mit seiner Versteckte-Kamera-Ästhetik erinnert er stärker an eine Fernsehproduktion als die anderen Filme, die wir uns angesehen haben. Der Regisseur filmt seine zwanzig Dates, auf der Suche nach der wahren Liebe. Am Ende findet er sie tatsächlich, wodurch sich der Film dem Hollywoodprodukt, von dem er sich eigentlich absetzen will, wieder annähert.
Dennoch, Myles konnte seinen Film drehen und fand ein Publikum dafür – ein weiterer Sieg des Digitalen.
Mit Projekten wie 20 Dates hat sich der Garagen-Kubrick vermutlich schon in der Grundschule befasst. Die Aufgabe lautet, einen Film über die Nachbarschaft zu drehen, über die Leute, die dort wohnen, die eigene Einstellung zu Mädchen oder etwas in der Art. Das hat er zwar gemacht, aber es hat ihm nicht gefallen. Er wusste bereits, was er wollte: eine spannende Handlung, tolle Kulissen, unvergessliche Figuren, die Textur seiner Fantasie in Pixelfleisch verwandelt. Er brauchte die Garage, die fruchtbare Dunkelheit, die unbeschreibliche Umarmungder miteinander verschmolzenen technologischen Artefakte, die ihn dort erwartete.
Nach der Mittagspause nehmen wir uns The Cruise von Bennett Miller vor, einen Schwarzweiß-Dokumentarfilm aus New York, der ein größeres Publikum fand. Der Film interessiert mich deutlich mehr als den Grubenvogel, der lieber im Pool schwimmen geht. Ich versinke in der Welt von Timothy »Speed« Levitch, einem Reiseführer beim Busunternehmen Gray Line, der ein bisschen wie ein in die Jahre gekommener John Lennon aussieht und fast genauso nervig ist wie Myles Berkowitz. The Cruise ist einer dieser idiosynkratischen Filme über einen idiosynkratischen Typen in einer immer noch sehr idiosynkratischen Stadt. Ich bin ein Fan solcher Filme, und gäbe es einen Fernsehkanal, wo so etwas den ganzen Tag liefe – wie Real One in meinem aktuellen Roman –, würde ich ihn garantiert schauen. The Cruise ist, wie es in Festivalbroschüren so schön heißt, ein sehr persönlicher Film, und sehr persönliche Filme sind normalerweise schwer zu finanzieren. Wäre der Digitalfilm nur ein bisschen teurer oder technisch aufwendiger, würde es diese Bilder wahrscheinlich gar nicht geben.
Was haben die Filme, die wir uns angesehen haben, nun gemeinsam? Eine Technologie, die Bewegungserfassung und Filmschnitt möglich macht und die Produktionswerkzeuge buchstäblich in die Hände eines jeden legt, der den ernsthaften Wunsch hegt, einen Film zu drehen. Aber das ist eine simple Beobachtung, so als würde man feststellen, dass jeder, der über Microsoft Word verfügt, ein Buch schreiben kann.
»Mit der Digitaltechnik kann man kostengünstig Filme drehen«, sagt mein Freund Roger, als wir uns die Onedotzero3-Kassette ansehen, eine Zusammenstellung von einem
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