Misstrauen Sie dem unverwechselbaren Geschmack
Notizen war er zwar vorhanden, wurde aber irgendwann ausgesiebt. Seinen Unwillen, als Figur in mein Buch einzugehen, hatte er bereits durch den unzeitigen Tod von Stanley Kubrick kundgetan. Die Figur basierte nicht auf Kubrick selbst, sondern auf bestimmten Theorien über dessen Arbeitsweise und Intentionen, die ein Freund von mir aufgestellt hatte – ein junger britischer Regisseur, der einmal für Kubrick gearbeitet hatte. Mein Freund war der Ansicht, dass es Kubrick komplett egal war, wie lange etwas dauerte, und er am liebsten Kulissen und Schauspieler selbst von Grund auf neu entworfen hätte. Ich fühlte mich an die Seminare über Filmgeschichte erinnert, die ich am College besucht hatte, und an die Auteur-Theorie, wonach der Regisseur der zentrale »Autor« eines Films ist, so wie der Schriftsteller Autor eines Buches ist.
Ob dies der Wahrheit entspricht, sei dahingestellt, aber meines Wissens ist die Welt voller Möchtegern-Auteure, und ich malte mir ein besonders besessenes und zwanghaftes Exemplar davon aus.
An den Garagen-Kubrick musste ich denken, als ich zum ersten Mal Sundance besuchte und beobachtete, wie die jungen Filmemacher versuchten, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Wie die Lemminge liefen sie im Gleichschritt die Hauptstraße von Park City hinauf und hinunter, zwei Handys gleichzeitig am Ohr, und sahen dabei mordsmäßig gestresst aus. Und das war nur der öffentliche Teil ihrer Arbeit. Hinter verschlossenen Türen, wo die Verträge ausgehandelt wurden (vorausgesetzt sie hatten einen potenziellen Vertragspartner gefunden), war es vermutlich noch um einiges schlimmer.
Während ich den Sundancern dabei zusah, wie sie ihre Handytumorekultivierten, regte sich ein gewisses Mitgefühl in mir. Diese Leute taten mir leid. Und aus diesem Gefühl heraus entstand der Garagen-Kubrick.
Er ist etwa vierzehn oder fünfzehn und entweder der erste oder letzte wirkliche Auteur – je nachdem, wie man es betrachtet.
Der Garagen-Kubrick hasst alles, was Sundance (von Hollywood ganz zu schweigen) den Menschen antut, und Slamdance oder Slumdance und den ganzen Rest verabscheut er genauso.
Der Garagen-Kubrick ist ein waschechter Auteur, ein jugendlicher Orson Welles der nahen Zukunft, der in der Garage seiner Eltern in einen unvorstellbaren (aber erschwinglichen) Knotenpunkt der Unterhaltungselektronik eingestöpselt ist. Dort drin dreht der Garagen-Kubrick im Alleingang einen Film, eine Art Live-Action-Epos mit oder ohne Motion Capture und mit oder ohne echte Schauspieler, auch wenn man den Unterschied später nicht merken wird.
Der Garagen-Kubrick ist ein Kontrollfreak – in einem Maße, wie es bis vor Kurzem technologisch noch nicht möglich war. Er dreht buchstäblich einen Einmannfilm – er ist der ausschließliche Urheber seines Films, so wie es sich vermutlich jeder Auteur wünscht.
Seine Garage wird er deshalb auch nur selten verlassen. Anfangs machten sich seine Eltern noch Sorgen, aber über diesen Punkt sind sie hinaus. Er ist einfach da drin und dreht seinen Film. Und zwar so, wie, meinem Freund zufolge, Kubrick gern gearbeitet hätte, wenn er über die nötige Technologie verfügt hätte.
Bei genauer Überlegung ist das vielleicht auch der Grund, warum der Garagen-Kubrick es nicht in mein Buch geschafft hat. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er lange genug aus seiner Garage herauskommen würde, um mit anderen Figuren zu interagieren. Aber auch Figuren, die den Bus verpasst haben,können einen Autor mitunter noch eine Weile verfolgen, und als ich jetzt im Marmont einschlafe, kommt mir die Erkenntnis: Der Garagen-Kubrick ist zurückgekehrt, und ich muss herausfinden, wie er zu dieser neuen Technologie passt. Und ob wir dorthin gelangen können oder wollen, wo er (in meiner Vorstellung) bereits angekommen ist.
Den nächsten Tag beginnen wir mit Blaubeerpfannkuchen und ein paar Sammlungen digitaler Kurzfilme, Animationen in verschiedenen Stilen, die mich an Siggraph-Demos erinnern. Der Garagen-Kubrick würde sie vermutlich als Teile der Sprache erkennen, in der er lernt, Opern zu singen.
Zu diesem Zeitpunkt melden sich Claires wahre Medienbedürfnisse zu Wort. Sie sehnt sich nach etwas Digitalem, aber keinem Film. Sie braucht japanische PlayStation-Spiele, etwas Final-Fantasy-Mäßiges. Wir machen uns auf den Weg nach Monrovia, wo sie die Verkaufsstelle einer Website namens Game Cave entdeckt hat. Das Geschäft erweist sich als wesentlich schicker und moderner als der nerdige
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