Mistelzweig und Weihnachtskuesse
nicht.“
„Das solltest du aber. Ich war da. Ich habe alles gehört.“
Sie schüttelte den Kopf. Glaubte sie ihm immer noch nicht, oder wollte sie, dass er aufhörte? Es war ihm gleich. Er war fest entschlossen, seine Geschichte zu Ende zu bringen.
„Nachdem er die Scheidung gefordert hatte, ging er. Meine Mutter stand in der Küche, in ihrem Zuhause. Und dann fing sie an zu lachen.“ Er schauderte. „Ich erinnere mich noch genau an den Laut“, fügte er leise hinzu.
Damals war er sechzehn gewesen – gerade zu alt, um offen zu weinen oder jemanden um Trost zu bitten.
„Jordan, ich …“
„Sie verließ uns“, fiel er ihr ins Wort. „Noch am selben Nachmittag packte sie ihre Koffer und ging. Ich flehte sie an zu bleiben, aber sie hörte mir gar nicht zu. Wir wären alt genug, um auf uns selbst aufzupassen, sagte sie. Dann war sie weg.“ Er funkelte die Frau auf dem Sofa an. „Sie hat sich nie wieder gemeldet. Nicht ein Anruf, kein einziger Brief.“
„Es tut mir leid“, sagte Louise. Eine Träne rann über ihre Wange. „Es tut mir so leid. Ich wollte niemandem von euch wehtun.“
„Das reicht nicht.“
Er ging zum Kamin und starrte auf die kalten Holzscheite. Widerstreitende Emotionen kämpften in ihm. In einem kleinen Winkel seines Herzens hatte er Mitleid mit Louise. Sie war jung gewesen, und die Dinge waren ihr über den Kopf gewachsen.
Aber sie hätte es besser wissen müssen, sagte er sich. Nichts von all dem wäre passiert, wenn sie nicht mit einem verheirateten Mann geschlafen hätte. Er heizte seinen Groll an, bis er wieder zum Leben erwachte. So viele ruinierte Leben. Ihres, das seiner Mutter und seiner Brüder.
„Was wurde aus dem Kind?“, fragte er.
„Ich weiß es nicht. Ich habe sie nie wiedergesehen.“
Jordan erstarrte. Für einen extrem quälenden Augenblick schrie jede Zelle seines Körpers vor Schmerz. Dann atmete er tief ein, und der Moment ging vorüber. Doch er selbst blieb kraftlos und erschüttert zurück.
„Sie? Du hattest ein Mädchen?“
„Ja. Was ist daran so besonders? Mein Gott, du glaubst doch nicht ernsthaft an diesen Familienfluch, oder?“
Der Fluch der Haynes-Familie. Seit vier Generationen hatte es in der Familie keine Tochter gegeben. Bis sich Travis in Elizabeth verliebt hatte. Bis Kyle mit Sandy zusammengekommen war. Haynes-Männer, die ihre Frauen liebten, bekamen Mädchen. Louise hatte ein Mädchen bekommen.
Der Scheißkerl hatte sie geliebt, wirklich geliebt. Aber niemals seine Frau. Und Jordan bezweifelte, dass er jemals viel für seine Söhne übrig gehabt hatte.
Seine Brust zog sich zusammen, und das Atmen fiel ihm schwer. Wortlos schwang er auf dem Absatz herum und verließ den Raum. Im Foyer wusste er nicht, wohin. Schließlich trat er hinaus auf die Veranda.
Die Nachtluft biss in seine Haut, aber die Kälte machte ihm nichts aus. Wenigstens konnte er hier durchatmen. Er blies eine dampfende Wolke in die Luft. Hinter ihm fiel die Haustür zu, und er hörte Louises Schritte auf den Holzplanken.
„Ich werde meine Sachen packen und bis morgen früh verschwinden“, erklärte sie.
Eigentlich wollte er, dass sie abreiste, aber es war unmöglich. „Nein. Du kannst nicht gehen. Ich habe dieses Geheimnis siebzehn Jahre gehütet, und wenn du gehst, muss ich es erklären. Ich werde nicht allen die Feiertage verderben, indem ich ausgerechnet jetzt auspacke. Außerdem würde Holly sich allein mit mir nicht wohlfühlen. Sie soll ein schönes Weihnachtsfest haben. Ich will, dass du bis nach Neujahr bleibst.“
„Gut.“
Aus der einen Silbe ließ sich nicht das Geringste über ihre Verfassung ablesen. Aber ihm war sowieso egal, was sie dachte. Obwohl die Geburt einer Tochter nicht ihre Schuld war, nahm er ihr diese letzte Kränkung trotzdem übel.
Er hörte, wie sich die Tür wieder öffnete. Dann sagte Louise: „Ich war erst siebzehn. Es war ein Fehler. Ich wusste nicht, was ich tat.“
„Immerhin warst du schlau genug, meine Familie zu zerstören.“
„Du wirst mir niemals verzeihen, oder?“
„Nein.“
„So einfach ist das? Du musst nicht einmal darüber nachdenken?“
Er antwortete nicht.
Nach einer Weile sagte sie: „Es muss schön sein, immer recht zu haben. Offensichtlich verschafft es dir eine Menge Genugtuung. Ich habe mich oft geirrt – aber das weißt du ja schon. Erzähl mal, wie es ist, wenn man nie Fehler macht. Wie fühlt es sich an, wenn man sich für keinen einzigen Fehltritt schämt?“
Statt eine Antwort
Weitere Kostenlose Bücher