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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Gezeiten. Er trug mich mit sich fort. Ich beschloß, zu tun, was Kreta Kano gesagt hatte, und an nichts mehr zu denken. Ich schloß die Augen, ließ alle Kraft aus meinen Gliedern entweichen und gab mich der Strömung hin. Auf einmal merkte ich, daß es im Zimmer dunkel geworden war. Ich versuchte, mich umzusehen, aber ich konnte kaum etwas erkennen. Die Wandlampen waren alle erloschen. Zurück blieb nur die unbestimmte Silhouette von Kreta Kanos blauem Kleid, die auf mir vor- und zurückschaukelte. »Einfach vergessen«, sagte sie, aber es war nicht Kreta Kanos Stimme. »Vergiß alles. Du schläfst. Du träumst. Du liegst in schönem, warmem Schlamm. Wir alle kommen aus dem warmen Schlamm, und dorthin kehren wir alle zurück.«
    Es war die Stimme der Frau am Telefon. Die geheimnisvolle Frau am Telefon saß jetzt rittlings auf mir und vereinigte ihren Körper mit meinem. Auch sie trug Kumikos Kleid. Sie und Kreta Kano hatten die Plätze getauscht, ohne daß ich etwas bemerkt hatte. Ich versuchte zu sprechen. Ich wußte nicht, was ich zu sagen hoffte, aber zumindest versuchte ich zu sprechen. Ich war jedoch zu verwirrt, und meine Stimme gehorchte mir nicht. Alles, was ich herausbekam, war ein Schwall heißer Luft. Ich riß die Augen weit auf und versuchte, das Gesicht der Frau, die mich bestiegen hatte, zu erkennen, aber es war zu dunkel im Zimmer. Die Frau sagte nichts weiter. Statt dessen begann sie, ihren Unterleib auf noch erregendere Weise zu bewegen. Ihr weiches Fleisch schlang sich, fast wie ein eigenständiger Organismus, mit einer sanft melkenden Saugwirkung um meine Erektion. Von hinter ihr hörte ich - oder meinte ich zu hören -, wie eine Klinke heruntergedrückt wurde. Ein weißes Aufblitzen schoß durch die Dunkelheit. Vielleicht war der Eiskübel für einen Augenblick vom Licht aus dem Korridor gestreift worden. Oder vielleicht kam das Aufblitzen von einer blanken scharfen Klinge. Aber ich konnte nicht mehr denken. Ich konnte nur noch eines tun: Ich kam.
     
    Ich reinigte mich unter der Dusche und wusch meine samenbefleckte Unterhose mit der Hand. Irre, dachte ich. Warum mußte ich ausgerechnet in dieser schweren Zeit feuchte Träume haben?
    Wieder zog ich frische Sachen an, und wieder setzte ich mich auf die Veranda und sah hinaus in den Garten. Durch dichtes grünes Laub gefiltert, tanzten überall Spritzer von Sonnenlicht. Durch eine Reihe von Regentagen gefördert, war hier und da leuchtend grünes Unkraut strotzend aufgeschossen und verlieh dem Garten einen Hauch von Verfall und Stagnation.
    Wieder Kreta Kano. Zwei feuchte Träume kurz hintereinander, und beide Male war es um Kreta Kano gegangen. Nicht ein einziges Mal hatte ich daran gedacht, mit ihr zu schlafen. Ich hatte nicht mal einen Funken von Verlangen danach verspürt. Und dennoch war ich beide Male in diesem Zimmer gewesen und hatte meinen Körper mit ihrem vereinigt. Was konnte nur der Grund dafür sein? Und wer war die Telefonfrau, die ihren Platz eingenommen hatte? Sie kannte mich, und ich kannte angeblich sie. Ich ging die verschiedenen Sexualpartnerinnen, die ich im Laufe meines Lebens gehabt hatte, im Kopf durch, aber keine von ihnen war die Telefonfrau. Trotzdem, irgendetwas an ihr kam mir vage vertraut vor. Und gerade das machte mir so zu schaffen.
    Irgendeine Erinnerung versuchte, ans Licht zu gelangen. Ich konnte sie spüren, wie sie da drinnen herumtappte und klopfte. Ich brauchte nichts als einen kleinen Hinweis. Ich brauchte nur am richtigen Fädchen zu ziehen, und alles würde sich mühelos entwirren. Das Rätsel wartete nur darauf, daß ich es löste. Aber dieses eine dünne Fädchen konnte ich einfach nicht finden.
    Ich gab es auf. Nicht mehr zu denken versuchen. »Vergiß alles. Wir alle kommen aus dem warmen Schlamm, und dorthin kehren wir alle zurück.«
    Es wurde sechs, und noch immer kein Anruf. Nur May Kasahara kam auf einen Sprung vorbei. Sie wolle nur einen Schluck Bier, sagte sie. Ich holte eine kalte Dose aus dem Kühlschrank, und wir teilten sie uns. Ich hatte Hunger, also legte ich Schinken und Salatblätter zwischen zwei Scheiben Brot und aß das. Als sie mich essen sah, sagte May, sie hätte gern das gleiche. Ich machte ihr auch ein Sandwich. Wir aßen schweigend und tranken unser Bier. Ich sah immer wieder auf die Wanduhr.
    »Haben Sie keinen Fernseher hier?«
    »Nein«, sagte ich.
    Sie biß sich leicht auf die Lippe. »Hab ich mir irgendwie gedacht. Mögen Sie kein Fernsehen?«
    »Kann man so nicht sagen.

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