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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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noch nichts.
    Als erster ergriff Noboru Wataya das Wort. »Ich habe sehr wenig Zeit, also machen wir es möglichst kurz und bündig.« Er schien mit der Edelstahlzuckerdose zu reden, die in der Mitte des Tisches stand, aber natürlich redete er mit mir. Die Zuckerdose war lediglich ein willkommener neutraler Mittler, an den er seine Ansprache richten konnte.
    »Machen wir was möglichst kurz und bündig?« fragte ich kurz und bündig. Endlich nahm Noboru Wataya seine Sonnenbrille ab, klappte sie zusammen, legte sie auf den Tisch und sah mich direkt an. Seit ich den Mann das letzte Mal gesehen und gesprochen hatte, waren über drei Jahre vergangen, aber - vermutlich dank des Umstands, daß die Medien mir sein Gesicht so oft aufgedrängt hatten - kam mir die dazwischenliegende Zeit überhaupt nicht zu Bewußtsein. Bestimmte Arten von Informationen sind wie Rauch: Sie dringen einem, ob man will oder nicht, in die Augen und den Kopf und nehmen keinerlei Rücksicht auf persönliche Vorlieben.
    Gezwungen, den Mann nun in Person zu sehen, konnte ich nicht umhin zu bemerken, wie stark sich in den drei Jahren die Wirkung seines Gesichts verändert hatte. Dieses fast Stagnierende, Trübe, das er an sich gehabt hatte, war in den Hintergrund gedrängt und mit etwas Glattem, Künstlichem überdeckt worden. Noboru Wataya hatte es geschafft, sich eine neue, anspruchsvollere Maske zuzulegen - und eine sehr gut gearbeitete dazu, keine Frage: vielleicht sogar eine neue Haut. Aber was immer sie war, Maske oder Haut, ich mußte zugeben - ja, selbst ich mußte zugeben -, daß diese neue Oberfläche eine gewisse Attraktivität besaß. Und dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Sein Gesicht anzusehen war, wie auf ein Fernsehbild zu sehen. Er redete so, wie die Leute im Fernsehen reden, und er bewegte sich so, wie die Leute sich im Fernsehen bewegen. Zwischen uns stand immer eine Glaswand. Ich saß auf dieser, er auf der anderen Seite. »Wie Ihnen zweifellos klar sein dürfte, sind wir heute hier, um über Kumiko zu reden«, sagte Noboru Wataya. »Über Kumiko und Sie. Über Ihre Zukunft. Was Sie und Kumiko zu tun gedenken.«
    »Zu tun gedenken?« sagte ich, hob meine Tasse und trank einen Schluck. »Können Sie sich etwas konkreter ausdrücken?«
    Noboru Wataya sah mich mit seltsam ausdruckslosen Augen an. »Etwas konkreter? Kumiko hat sich einen Liebhaber genommen. Sie hat Sie verlassen. Sie werden kaum unterstellen, daß auch nur einer der Beteiligten diese Situation auf unbestimmte Zeit aufrechterhalten möchte. Das wäre für niemanden gut.«
    »Einen Liebhaber genommen?« fragte ich.
    »Jetzt bitte, einen Moment.« Malta Kano entschloß sich, an diesem Punkt zu intervenieren. »Eine Diskussion wie diese hat ihre eigene innere Ordnung. Herr Wataya, Herr Okada, es ist wichtig, systematisch vorzugehen.«
    »Das sehe ich nicht so«, sagte Noboru Wataya mit völlig unlebendiger Stimme. »Das Ganze hat keine Ordnung. Was für eine Ordnung denn? Diese Diskussion hat keine.«
    »Lassen Sie ihn erst mal reden«, sagte ich zu Malta Kano. »Die richtige Ordnung können wir später hineinbringen - falls es eine gibt.«
    Malta Kano sah mich ein paar Sekunden lang mit leicht geschürzten Lippen an und nickte dann knapp. »Nun gut«, sagte sie. »Zuerst Herr Wataya. Bitte.«
    »Kumiko hat einen anderen Mann kennengelernt«, begann er. »Und jetzt ist sie mit ihm auf und davon. Soviel steht fest. Das wiederum bedeutet, daß es für Sie kaum einen Sinn haben dürfte, weiter verheiratet zu bleiben. Zum Glück sind keine Kinder im Spiel, und unter den gegebenen Umständen braucht kein Geld den Besitzer zu wechseln. Es ist alles schnell geregelt. Kumiko läßt sich einfach aus Ihrem Familienstammbuch streichen. Sie brauchen nur Ihren Namen und Stempel unter ein paar Schriftstücke zu setzen, die ein Anwalt vorbereitet hat, und die Sache ist erledigt. Und damit keine Mißverständnisse aufkommen, möchte ich noch eins hinzufügen: Was ich hier sage, ist der definitive Standpunkt der gesamten Familie Wataya.«
    Ich verschränkte die Arme und dachte eine Weile über seine Worte nach. »Ich hätte ein paar Fragen«, sagte ich. »Zunächst einmal, woher wissen Sie, daß Kumiko einen anderen Mann hat?«
    »Das hat sie mir selbst gesagt«, sagte Noboru Wataya.
    Darauf wußte ich nichts mehr zu sagen. Ich legte die Hände auf den Tisch und blieb stumm. Es war für mich schwer, mir vorzustellen, daß Kumiko sich in so einer persönlichen Angelegenheit an

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