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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Ich komme gut ohne aus.«
    May Kasahara ließ das eine Weile auf sich einwirken. »Wie lang sind Sie schon verheiratet, Mister Aufziehvogel?«
    »Sechs Jahre«, sagte ich.
    »Und Sie sind sechs Jahre lang ohne Fernseher ausgekommen?«
    »M-hm. Zuerst hatten wir kein Geld, uns einen zu kaufen. Dann haben wir uns daran gewöhnt, ohne einen zu leben. So ist es angenehm ruhig.«
    »Sie beide müssen glücklich gewesen sein.«
    »Wie kommst du darauf?«
    Sie verzog das Gesicht. »Na ja, also ich könnt nicht einen Tag ohne Fernsehen leben.«
    »Weil du unglücklich bist?«
    Darauf antwortete May Kasahara nicht. »Aber jetzt ist Kumiko weg. Jetzt sind Sie nicht mehr besonders glücklich, Mister Aufziehvogel.«
    Ich nickte und trank einen Schluck Bier. »So könnte man es ausdrücken«, sagte ich. So konnte man es ausdrücken.
    Sie steckte sich eine Zigarette zwischen die Lippen und riß mit geübter Bewegung ein Streichholz an. »So, Mister Aufziehvogel«, sagte sie, »jetzt will ich, daß Sie mir absolut ehrlich sagen: Finden Sie mich häßlich?«
    Ich stellte mein Glas Bier hin und sah mir May Kasaharas Gesicht noch einmal an. Die ganze Zeit, während ich mit ihr geredet hatte, war ich in Gedanken halb woanders gewesen. Sie trug ein übergroßes schwarzes String-Top, das einen guten Blick auf die mädchenhaften Rundungen ihrer Brüste gewährte.
    »Du bist nicht im mindesten häßlich«, sagte ich. »Soviel ist sicher. Warum fragst du?«
    »Mein Freund hat früher immer gesagt, ich wär häßlich, ich hätte überhaupt keine Titten.«
    »Der Junge, der die Maschine zu Bruch gefahren hat?«
    »Ja, der.«
    Ich sah May Kasahara an, während sie den Zigarettenrauch langsam ausatmete. »Jungen in dem Alter sagen nun mal solche Sachen. Sie sind nicht imstande, ihre Gefühle richtig auszudrücken, und so sagen und tun sie das genaue Gegenteil. Auf die Art tun sie anderen ohne jeden Grund weh, und sich selbst auch. Jedenfalls bist du nicht im mindesten häßlich. Ich finde, du bist sehr hübsch. Soll keine Schmeichelei sein.«
    May Kasahara ließ sich das eine Weile durch den Kopf gehen. Sie schnippte Asche in die leere Bierdose. »Ist Missis Aufziehvogel hübsch?«
    »Hmm, das ist für mich schwer zu sagen. Manche würden sagen, ja, und manche würden sagen, nein. Es ist Geschmackssache.«
    »Aha«, sagte sie. Sie trommelte mit den Fingerspitzen gegen ihr Glas, als langweile sie sich.
    »Was macht denn dein Biker-Freund so?« fragte ich. »Kommt er dich nicht mehr besuchen?«
    »Nein«, sagte May Kasahara und legte einen Finger an die Narbe an ihrem linken Auge. »Ich werd ihn nie wiedersehen, soviel ist sicher. Zweihundertprozentig sicher. Da würd ich meinen linken kleinen Zeh für verwetten. Aber darüber möcht ich im Augenblick lieber nicht reden. Es gibt Dinge, wissen Sie, wenn man die sagt, sind sie nicht mehr wahr. Wissen Sie, was ich meine, Mister Aufziehvogel?«
    »Ich denk schon«, sagte ich. Dann warf ich einen Blick hinüber zum Telefon. Es stand nebenan auf dem Wohnzimmertisch und hüllte sich in Schweigen. Es sah aus wie ein Geschöpf aus der Tiefsee, das sich für ein unbelebtes Objekt ausgibt, dahockt und auf seine Beute wartet.
    »Eines Tages, Mister Aufziehvogel, werde ich Ihnen alles über ihn erzählen. Wenn mir danach ist. Aber jetzt nicht. Ich bin jetzt einfach nicht in der Stimmung.« Sie sah auf ihre Uhr. »Muß nach Hause. Danke für das Bier.« Ich begleitete sie hinaus zur Gartenmauer. Ein fast voller Mond ergoß sein körniges Licht auf die Erde. Der Anblick des Vollmondes erinnerte mich daran, daß Kumikos Periode bald einsetzen würde. Aber das ging mich wahrscheinlich nichts mehr an. Der Gedanke trieb mir einen stechenden Schmerz durch die Brust. Ich war auf seine Intensität nicht gefaßt gewesen: Er fühlte sich fast wie Kummer an.
    Eine Hand auf der Mauerkrone, sah May Kasahara mich an. »Sagen Sie, Mister Aufziehvogel, Sie lieben Kumiko doch, nicht?«
    »Ich denk schon.«
    »Obwohl sie vielleicht mit einem Liebhaber durchgebrannt ist? Wenn sie sagen würde, sie möchte zu Ihnen zurück, würden Sie sie wieder aufnehmen?« Ich stieß einen Seufzer aus. »Das ist eine schwierige Frage«, sagte ich. »Das könnte ich mir erst überlegen, wenn der Fall wirklich einträte.«
    »Tut mir leid, ich weiß, geht mich nix an«, sagte May Kasahara und schnalzte leicht mit der Zunge. »Aber nicht sauer sein. Ich versuch nur zu lernen. Ich würd gern wissen, was es für eine Ehefrau bedeutet wegzulaufen.

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