Mister Aufziehvogel
Es gibt alle möglichen Dinge, die ich nicht weiß.«
»Ich bin nicht sauer«, sagte ich. Dann sah ich wieder zum Vollmond auf. »Also dann, Mister Aufziehvogel. Passen Sie auf sich auf. Ich hoffe, Ihre Frau kommt zurück und alles wird gut.« Dann schwang sich May Kasahara mit unglaublicher Leichtigkeit über die Mauer und verschwand in der Sommernacht.
Da May Kasahara gegangen war, war ich wieder allein. Ich setzte mich auf die Veranda und dachte über die Fragen nach, die sie mir gestellt hatte. Wenn Kumiko mit einem Liebhaber irgendwo hingegangen war, würde ich sie wieder aufnehmen können? Ich wußte die Antwort nicht. Ich wußte es wirklich nicht. Es gab alle möglichen Dinge, die ich nicht wußte.
Plötzlich klingelte das Telefon. Meine Hand schnappte reflexartig nach dem Hörer.
Am anderen Ende meldete sich die Stimme einer Frau. »Hier ist Malta Kano«, sagte sie. »Entschuldigen Sie bitte, daß ich Sie so häufig anrufe, Herr Okada, aber ich hatte mich gerade gefragt, ob Sie irgendwelche Pläne für den morgigen Tag haben.«
Ich hätte keine Pläne, sagte ich. Wenn ich etwas wirklich nicht hatte, dann Pläne. »wäre es Ihnen in diesem Falle möglich, sich um die Mittagszeit mit mir zu treffen?«
»Hat das etwas mit Kumiko zu tun?«
»Ich glaube, ja«, sagte Malta Kano vorsichtig. »Noboru Wataya wird sehr wahrscheinlich auch zu uns stoßen.«
Als ich das hörte, hätte ich beinahe den Hörer fallenlassen. »Wollen Sie damit sagen, wir treffen uns zu einem Gespräch zu dritt?«
»Ja, ich glaube, das trifft zu«, sagte Malta Kano. »Die gegenwärtige Situation macht dies erforderlich. Es tut mir leid, aber ich kann am Telefon nicht ins Detail gehen.«
»Gut. Ich verstehe«, sagte ich.
»Sollen wir uns um eins treffen? Am selben Ort wie letztes Mal: im Tea-room des Shinagawa Pacific Hotels.«
»Um ein Uhr im Tea-room des Shinagawa Pacific Hotels«, sagte ich und legte auf.
Um zehn rief May Kasahara an. Sie hatte nichts Besonderes zu sagen; sie wollte nur mit jemandem reden. Wir plauderten eine Weile über harmlose Dinge. »Sagen Sie, Mister Aufziehvogel«, sagte sie am Schluß. »Gibt’s inzwischen irgendwelche guten Neuigkeiten?«
»Keine guten Neuigkeiten«, sagte ich. »Nichts.«
3
N OBORU WATAYA SPRICHT
DIE GESCHICHTE VON DEN AFFEN
DER BESCHISSENEN INSEL
Ich traf zehn Minuten zu früh im Tea-room ein, aber Noboru Wataya und Malta Kano hatten schon einen Tisch gefunden und warteten auf mich. Jetzt um die Mittagszeit herrschte im Lokal ein ziemliches Gedränge, aber ich entdeckte Malta Kano sofort. Nicht allzu viele Leute trugen an sonnigen Sommertagen rote Vinylhüte. Es mußte derselbe Hut sein, den sie am Tag unserer ersten Begegnung getragen hatte, es sei denn, sie besaß eine ganze Kollektion davon, alle von derselben Form und Farbe. Ihre Kleidung war von der gleichen geschmackvollen Schlichtheit wie das erste Mal: eine kurzärmelige Leinenjacke über einer kragenlosen Baumwollbluse. Beide Kleidungsstücke waren makellos weiß und ohne die kleinste Knitterfalte. Keinerlei Accessoires, kein Make-up. Nur der rote Vinylhut störte den Gesamteindruck, sowohl farblich wie durch sein Material her. Als habe sie nur meine Ankunft abgewartet, nahm sie, als ich mich setzte, den Hut ab und legte ihn auf den Tisch. Neben dem Hut lag eine kleine gelbe Lederhandtasche. Malta Kano hatte irgendein Tonic Water bestellt, es aber wie das letzte Mal nicht angerührt. Die Flüssigkeit schien sich in ihrem hohen Glas unbehaglich zu fühlen, als habe sie nichts besseres zu tun, als ihre Bläschen zu produzieren. Noboru Wataya trug eine grüne Sonnenbrille. Sobald ich mich gesetzt hatte, nahm er sie ab und starrte eine Weile lang auf die Gläser, dann setzte er die Brille wieder auf. Er trug ein augenscheinlich brandneues Polohemd und darüber ein marineblaues Baumwoll-Sportjackett. Vor ihm stand ein Glas Eistee, aber auch er hatte sein Getränk offenbar noch nicht berührt. Ich bestellte Kaffee und nahm einen Schluck Wasser.
Niemand sprach ein Wort. Noboru Wataya schien nicht einmal meine Ankunft bemerkt zu haben. Um mich zu vergewissern, daß ich nicht plötzlich durchsichtig geworden war, legte ich eine Hand auf den Tisch, wendete sie paarmal hin und her und sah sie mir dabei an. Schließlich kam der Kellner zurück, stellte eine Tasse vor mich und goß mir Kaffee ein. Nachdem er wieder gegangen war, gab Malta Kano kleine Räusperlaute von sich, als teste sie ein Mikrofon, sagte aber immer
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