Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
Vom Netzwerk:
klein, aus Gold, in Form eines Fisches. Wo konnte sie so ein Ding nur gekauft haben? Ich hätte furchtbar gern eine geraucht. Ich stellte mir vor, wie ich Zigaretten und Feuerzeug aus der Tasche zog, mir eine Filterzigarette zwischen die Lippen steckte und sie anzündete. Ich tat einen tiefen Lungenzug Luft. Der intensive Geruch von pfannengerührtem Rindfleisch mit Gemüse machte mir schwer zu schaffen. Ich war ausgehungert.
    Mein Blick blieb am Wandkalender hängen. Es war ein Kalender, der die Mondphasen angab. Der Vollmond rückte näher. Natürlich: Kumikos Periode stand kurz bevor.
    Erst nach meiner Heirat war mir wirklich zu Bewußtsein gekommen, daß ich ein Bewohner der Erde war, des dritten Planeten des Sonnensystems. Ich lebte auf der Erde, die Erde kreiste um die Sonne, und um die Erde wiederum kreiste der Mond. Und ob’s mir gefiel oder nicht, würde das in alle Ewigkeit (oder was man gemessen an meiner Lebensspanne »Ewigkeit« nennen konnte) so weitergehen. Was mich zu dieser Erkenntnis und diesem Bewußtsein führte, war die absolute Präzision von Kumikos neunundzwanzigtägigem Menstruationszyklus. Er stimmte vollkommen mit dem Zu- und Abnehmen des Mondes überein. Und ihre Periode war immer problematisch. Ein paar Tage, bevor es losging, wurde sie regelmäßig launisch, ja sogar depressiv. So wurde ihr Zyklus zu meinem Zyklus.
    Ich mußte aufpassen, daß ich nicht zur falschen Zeit des Monats unnötig Schwierigkeiten machte. Vor unserer Ehe hatte ich von den Mondphasen kaum etwas mitgekriegt. Es war wohl gelegentlich vorgekommen, daß ich den Mond am Himmel sah, aber welche Gestalt er zum jeweiligen Zeitpunkt hatte, war für mich nie von Bedeutung gewesen. Jetzt war die Gestalt des Mondes etwas, was ich unentwegt mit mir herumtrug.
    Vor Kumiko war ich mit einer Reihe anderer Frauen zusammengewesen, und natürlich hatte jede von ihnen ihre Periode gehabt. Bei manchen war sie problematisch gewesen, bei manchen unkompliziert, bei manchen war sie nach drei Tagen vorbei, bei anderen dauerte sie eine Woche, bei manchen kam sie pünktlich, bei anderen konnte sie sich zehn Tage verspäten und mir einen Heidenschrecken einjagen; manche Frauen wurden unausstehlich, andere zeigten kaum eine Wirkung. Bis ich Kumiko heiratete, hatte ich allerdings noch nie mit einer Frau zusammengelebt. Bis dahin war der einzige natürliche Zyklus, den ich bewußt zur Kenntnis genommen hatte, der Wechsel der Jahreszeiten gewesen. Im Winter holte ich meinen Mantel aus dem Schrank, im Sommer war es Zeit für Sandalen. Durch die Heirat erhielt ich nicht nur eine Lebensgefährtin, sondern auch einen neuen Begriff von Zyklizität: die Phasen des Mondes. Nur einmal hatte sie, ein paar Monate lang, ihren regelmäßigen Zyklus durchbrochen, und da war sie schwanger gewesen. »Es tut mir leid«, sagte sie und hob das Gesicht. »Ich wollte es nicht an dir auslassen. Ich bin müde, und ich bin schlecht gelaunt.«
    »Ist schon in Ordnung«, sagte ich. »Mach dir keine Gedanken darüber. Du sollst es an jemandem auslassen, wenn du müde bist. Dann fühlst du dich besser.«
    Kumiko atmete langsam, tief ein, hielt eine Weile die Luft an und atmete dann aus. »Was ist mit dir?« fragte sie. »Was ist mit mir?«
    » Du läßt es nie an irgend jemandem aus, wenn du müde bist. Ich schon. Woran liegt das?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Das ist mir noch nie aufgefallen«, sagte ich. »Komisch.«
    »Vielleicht hast du so einen tiefen Brunnen in dir, und du schreist da ›Der König hat Eselsohren!‹ hinein, und dann ist alles in Ordnung.«
    Ich dachte eine Weile darüber nach. »Vielleicht ist das so«, sagte ich. Kumiko sah wieder die leere Bierflasche an. Sie starrte auf das Etikett und dann auf die Öffnung, und dann drehte sie den Hals zwischen den Fingern.
    »Ich bekomme bald meine Periode«, sagte sie. »Das ist wohl der Grund, warum ich so schlecht gelaunt bin.«
    »Ich weiß«, sagte ich. »Mach dir darüber keine Gedanken. Du bist nicht die einzige. Massenhaft Pferde sterben, wenn der Mond voll ist.«
    Sie nahm die Hand von der Flasche und sah mich mit offenem Mund an. »Also, wo hast du das auf einmal her?«
    »Das habe ich neulich in der Zeitung gelesen. Ich wollte es dir eigentlich erzählen, aber dann hab ich’s vergessen. Es war ein Interview mit irgendeinem Tierarzt. Offenbar werden Pferde unglaublich stark von den Mondphasen beeinflußt - und zwar körperlich wie seelisch. Wenn sich der Vollmond nähert, fangen ihre Gehirnwellen

Weitere Kostenlose Bücher