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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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beim besten Willen nicht beantworten. Sie kommt mir überhaupt belanglos vor. War ich in Dich verliebt? Das kann ich ohne Zögern beantworten: Ja. Ich bin immer sehr froh darüber gewesen, daß ich Dich geheiratet habe, und ich bin es noch immer. Warum, könntest Du jetzt fragen, habe ich Dich dann betrogen und bin, um die Sache noch schlimmer zu machen, von zu Hause fortgelaufen? Ich habe mir diese Frage selbst immer wieder gestellt, schon während es passierte: Warum muß ich das tun?
    Ich kann es beim besten Willen nicht erklären. Ich habe nie den geringsten Wunsch verspürt, mir einen Liebhaber zu nehmen oder einen Seitensprung zu machen. Das war das letzte, woran ich gedacht hätte, als ich anfing, mich mit ihm zu treffen. Wir waren uns ein paarmal im Zusammenhang mit der Arbeit begegnet, und auch wenn wir beide merkten, daß wir ganz gut miteinander reden konnten, war das Äußerste, was danach passierte, eine gelegentliche Bemerkung am Telefon, die über das rein Berufliche hinausging. Er war viel älter als ich, hatte Frau und Kinder und wirkte auf mich als Mann nicht sonderlich attraktiv: Ich wäre nie auf die Idee gekommen, mich mit ihm einzulassen. Was nicht heißen soll, daß ich nicht von Zeit zu Zeit daran gedacht hätte, es Dir heimzuzahlen. Es machte mir noch immer ziemlich zu schaffen, daß Du einmal eine Nacht mit einer gewissen Frau verbracht hast. Als Du sagtest, Du hättest nichts mit ihr gehabt habe ich Dir geglaubt, aber das allein machte die Sache noch lange nicht wieder gut; so habe ich es empfunden. Aber dennoch habe ich kein Verhältnis angefangen, um es Dir heimzuzahlen. Ich erinnere mich, daß ich einmal zu Dir gesagt habe, ich würde es tun, aber das war nur eine Drohung. Ich habe mit ihm geschlafen, weil ich mit ihm schlafen wollte. Weil ich es nicht ertragen hätte, nicht mit ihm zu schlafen. Weil ich außerstande war, mein sexuelles Verlangen zu unterdrücken.
    Nachdem wir uns eine Zeitlang nicht gesehen hatten, trafen wir uns wieder in einer beruflichen Angelegenheit. Danach gingen wir zusammen essen und anschließend noch auf einen Drink in irgendein anderes Lokal. Da ich ja keinen Alkohol vertrage, habe ich nur - aus Höflichkeit - ein Glas Orangensaft ohne einen Tropfen Alkohol darin getrunken. Was danach geschah, hatte also mit Alkohol nichts zu tun. Wir haben nur zusammen gegessen und uns unterhalten. Dann aber haben wir uns zufällig berührt, und von diesem Augenblick an konnte ich an nichts anderes denken, als daß ich in seinen Armen liegen wollte. In dem Moment, als wir uns berührten, wußte ich, daß er meinen Körper begehrte, und er schien zu spüren, daß ich seinen begehrte. Es war eine völlig irrationale, übermächtige elektrische Spannung, die zwischen uns entstand. Mir war, als sei der Himmel auf mich herabgestürzt. Meine Wangen glühten, mein Herz hämmerte, und ich hatte ein schweres, schmelzendes Gefühl unterhalb der Taille. Es war so intensiv, daß ich kaum aufrecht auf dem Barhocker sitzen konnte. Anfangs begriff ich nicht, was in mir vorging, aber bald erkannte ich, daß es Lust war. Ich hatte ein so unbändiges Verlangen nach ihm, daß ich kaum noch atmen konnte. Ohne daß einer von uns als erster den Vorschlag gemacht hätte, gingen wir in das nächste Hotel und stürzten uns wie Wilde in den Sex.
    Wahrscheinlich tu ich Dir weh, wenn ich es so klipp und klar sage, aber ich glaube, daß ein ehrlicher, detaillierter Bericht auf lange Sicht das Beste ist. Es mag hart für Dich sein, aber ich möchte, daß Du den Schmerz erträgst und weiterliest. Was ich mit ihm tat, hatte mit » Liebe « so gut wie nichts zu tun. Ich wollte nichts, als in seinen Armen liegen und ihn in mir haben. Noch nie in meinem Leben hatte ich ein so überwältigendes Bedürfnis nach einem Männerkörper verspürt. Ich hatte in Romanen von » unerträglichem Verlangen « gelesen, aber bis zu dem Tag habe ich mir nie richtig vorstellen können, was darunter zu verstehen sei.
    Warum dieses Bedürfnis so plötzlich in mir erwachte, warum es nicht mit Dir, sondern mit jemand anderem passierte, kann ich nicht sagen. Aber es wäre völlig unmöglich gewesen, dieses Verlangen zu unterdrücken, und ich versuchte es auch gar nicht. Bitte glaube mir: Es kam mir nicht ein einziges Mal, nicht für einen Augenblick, in den Sinn, daß ich Dir damit in irgendeiner Weise untreu würde. Was ich in diesem Hotelbett mit ihm erlebte, grenzte an Wahnsinn. Um ehrlich zu sein, so gut hatte sich für mich

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