Mister Aufziehvogel
plaudern kann. Aber dieses Gefühl, diese unglaubliche, überwältigende Lust, hat alles eingerissen, was wir im Laufe der Jahre aufgebaut hatten. Sie hat mir alles genommen: Sie hat mir Dich genommen, das Zuhause, das wir uns gemeinsam geschaffen hatten, und meine Arbeit. Warum mußte so etwas geschehen? Nach meiner Abtreibung vor drei Jahren sagte ich Dir, da wäre etwas, was ich Dir sagen müßte. Erinnerst Du Dich? Vielleicht hätte ich es tun sollen. Vielleicht hätte ich Dir alles erzählen, Dir mein Herz öffnen sollen, bevor sich die Dinge so entwickelten. Wenn ich es getan hätte, wäre das alles vielleicht nie passiert. Aber jetzt, wo es passiert ist - selbst jetzt glaube ich nicht, daß ich imstande wäre, Dir zu sagen, was ich damals empfand. Und zwar deswegen, weil ich das Gefühl habe, sobald ich es in Worte gefaßt hätte, wäre alles noch endgültiger zerstört, als es jetzt schon ist. Und darum bin ich zu der Überzeugung gelangt, am besten sei es, wenn ich das Ganze für mich behielte und verschwände. Es tut mir leid, Dir das sagen zu müssen, aber Tatsache ist, daß ich mit Dir nie wirklich sexuelles Vergnügen empfinden konnte, weder vor noch nach unserer Heirat. Ich fand es wunderschön, wenn Du mich in den Armen hieltest, aber empfunden habe ich dabei nie mehr als ein verschwommenes, fernes Gefühl, das fast zu jemand anderem zu gehören schien. Du bist daran nicht im mindesten schuld. Für meine Unfähigkeit, etwas zu empfinden, war einzig und allein ich verantwortlich. Es gab da irgendeine Blockade in mir, die alle sexuellen Empfindungen in Schach hielt. Als diese Blockade aus mir völlig unbegreiflichen Gründen durch den Sex mit jenem Mann hinweggefegt wurde, wußte ich nicht mehr, was ich tun sollte.
Zwischen Dir und mir ist immer etwas sehr Inniges und Zartes gewesen; es war von Anfang an da. Aber jetzt ist es für immer verloren. Dieses vollkommene Ineinandergreifen von Zahnrädern, dieses mythische Etwas, ist zerstört. Weil ich es zerstört habe. Oder genauer gesagt, weil irgend etwas mich dazu gebracht hat, es zu zerstören. Es tut mir entsetzlich leid, daß dies passiert ist. Nicht jeder hat das Glück, eine solche Chance zu bekommen, wie ich sie mit Dir hatte. Ich hasse dieses Etwas, das all dies verursacht hat. Du kannst Dir nicht vorstellen, wie sehr ich es hasse. Ich will wissen, was genau es ist. Ich muß wissen, was genau es ist. Ich muß seine Wurzeln ausfindig machen und darüber zu Gericht sitzen und es bestrafen. Ob ich tatsächlich die Kraft dazu haben werde, kann ich nicht sagen. Eines allerdings ist sicher: dies ist allein mein Problem. Es hat nichts mit Dir zu tun.
Ich möchte Dich jetzt nur noch um eines bitten: Kümmere Dich nicht mehr um mich. Versuche bitte nicht, mich zu finden. Vergiß mich einfach, gewöhne dich an den Gedanken, ein neues Leben anzufangen. Was meine Familie anbelangt, werde ich das einzig Richtige tun: Ich werde ihnen schreiben und erklären, daß dies alles meine Schuld ist, daß Du nicht die geringste Verantwortung trägst. Sie werden Dir keine Schwierigkeiten machen. Das Scheidungsverfahren wird recht bald eingeleitet werden, glaube ich. Das wird das Beste für uns beide sein. Erhebe also bitte keinen Einspruch. Erteile einfach Dein Einverständnis. Was die Kleider und anderen Dinge angeht, die ich dagelassen habe - es tut mir leid, aber wirf sie bitte einfach weg oder spende sie für irgendeinen wohltätigen Zweck. All das gehört nun zur Vergangenheit. Ich habe nicht das Recht, jetzt irgend etwas von dem, was ich in meinem Leben mit Dir benutzt habe, weiterzubenutzen. Leb wohl.
Ich las den Brief noch einmal von Anfang bis Ende durch und steckte ihn wieder in den Umschlag. Dann holte ich noch eine Dose Bier aus dem Kühlschrank und trank sie aus.
Wenn Kumiko vorhatte, die Scheidung einzureichen, dann hatte sie vorerst nicht die Absicht, sich umzubringen. Das erleichterte mich ein wenig. Dann aber stieß ich auf die Tatsache, daß ich seit fast zwei Monaten mit niemandem mehr geschlafen hatte. Wie Kumiko in ihrem Brief schrieb, hatte sie sich während dieser ganzen Zeit dagegen gesträubt, mit mir zu schlafen. Sie habe Symptome einer leichten Blasenentzündung, hatte sie gesagt, und der Arzt habe ihr geraten, eine Zeitlang auf Geschlechtsverkehr zu verzichten. Und natürlich hatte ich ihr geglaubt. Ich hatte keinen Grund gehabt, es nicht zu tun.
Während dieser zwei Monate hatte ich zwar im Traum - oder in einer Welt, für die mein
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