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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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standen im Raum. Das Fenster war nicht nur mit einer Jalousie versehen, sondern außerdem mit Gardinen und Tuchvorhängen, beides dicht zugezogen. Die Deckenbeleuchtung war ausgeschaltet, und so herrschte im Zimmer ein Zwielicht wie an einem bewölkten Abend. An der Stehlampe neben dem Sofa brannte nur eine Glühbirne. Auf dem Couchtisch stand eine Vase mit Gladiolen. Die Blumen waren frisch, als habe man sie erst vor wenigen Augenblicken geschnitten, und das Wasser in der Vase war klar. Die Musik war in diesem Zimmer nicht zu hören, und an den Wänden hingen weder Bilder noch Uhren. Mit einer weiteren stummen Geste forderte der junge Mann mich auf, auf dem Sofa Platz zu nehmen. Sobald ich mich seiner Anweisung entsprechend auf die (nicht minder behaglichen) Polster gesetzt hatte, holte er aus seiner Hosentasche so etwas wie eine Schwimmbrille und spannte sie vor meinen Augen. Es war eine Schwimmbrille, eine einfache Schutzbrille aus Gummi und Plexiglas, ganz wie diejenige, die ich beim Schwimmen im Hallenbad benutzte. Wozu er sie hier hervorgeholt hatte, war mir allerdings nicht klar. Völlig schleierhaft sogar. »Haben Sie keine Angst«, sagte der junge Mann zu mir. Strenggenommen »sagte« er überhaupt nichts. Er bewegte nur entsprechend die Lippen und dazu - sehr sparsam - die Hände. Trotzdem verstand ich genau, was er mir sagte. Ich nickte. »Legen Sie die bitte an. Nehmen Sie sie nicht selbst wieder ab. Ich werde es tun. Sie dürfen sich auch nicht bewegen. Haben Sie verstanden?« Wieder nickte ich.
    »Ich tue Ihnen nichts zuleide. Keine Sorge, es wird Ihnen nichts passieren.« Ich nickte.
    Der junge Mann trat hinter das Sofa und hielt mir die Brille vor die Augen. Er streifte mir das Gummiband über den Kopf und schob die Augenschalen so zurecht, daß die Schaumgummiringe dicht um meine Augen schlossen. Diese Schwimmbrille unterschied sich von derjenigen, die ich zu benutzen pflegte, nur darin, daß ich nicht durch sie hindurchsehen konnte. Die Plastikgläser waren dick mit irgend etwas überstrichen worden. Eine totale, künstlich erzeugte Finsternis umgab mich. Ich konnte nicht das geringste sehen. Ich hatte keine Ahnung, wo die Stehlampe leuchtete. Es kam mir so vor, als wäre ich selbst mit einer dicken Schicht von irgend etwas überstrichen worden.
    Wie um mir Mut zu machen, legte der junge Mann mir leicht die Hände auf die Schultern. Er hatte schlanke, zarte Finger, aber sie waren nicht im mindesten zerbrechlich. Sie besaßen die selbstsichere Präsenz von Pianistenfingern, die auf der Tastatur ruhen, und ich spürte, daß sie Wohlwollen ausströmten - oder wenn nicht eigentlich Wohlwollen, so doch etwas sehr Ähnliches. »Es wird Ihnen nichts geschehen. Keine Sorge«, teilten sie mir mit. Ich nickte. Dann verließ er den Raum. Im Dunkeln hörte ich, wie seine Schritte sich entfernten, und dann das Geräusch einer Tür, die sich öffnete und schloß.
    Nachdem der junge Mann gegangen war, blieb ich eine Zeitlang in derselben Haltung sitzen. Die Dunkelheit, in der ich saß, war eigentümlich. Daß ich nichts sehen konnte, entsprach ganz dem, was ich auf dem Grund des Brunnens erfahren hatte, sonst aber besaß diese Dunkelheit eine gewisse Qualität, die sie zu etwas völlig anderem machte. Sie war ohne Richtung oder Tiefe, ohne Gewicht und Griffigkeit. Konkretheit. Sie war weniger Dunkelheit als vielmehr ein Nichts. Man hatte mich nur vorübergehend künstlich blind gemacht. Ich spürte, daß meine Muskeln sich verspannten, daß mein Mund und meine Kehle trocken wurden. Was erwartete mich? Aber dann erinnerte ich mich an die Berührung der Hände des jungen Mannes. Keine Sorge, hatten sie mir gesagt. Aus einem mir unklaren Grund hatte ich das Gefühl, ich könne diesen »Worten« glauben. Im Zimmer war es so absolut still, daß mich, als ich den Atem anhielt, der Eindruck überkam, die Welt sei in ihrer Bewegung erstarrt und alles werde über kurz oder lang von Wasser verschlungen werden und in ewige Tiefen versinken. Doch nein, die Welt bewegte sich offenbar noch, denn bald darauf öffnete eine Frau die Tür und trat ein.
    Daß es eine Frau war, erkannte ich am zarten Duft ihres Parfüms. Das war kein Duft, den ein Mann tragen würde. Es war wahrscheinlich ein teures Parfüm. Ich versuchte, mich an den Duft zu erinnern, aber ich war mir nicht sicher. Seit man mich meines Augenlichts beraubt hatte, war auch mein Geruchssinn gestört, merkte ich. Sicher wußte ich nur, daß das Parfüm, das ich jetzt

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