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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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»Sie hatte die Konzentrationsfähigkeit verloren, die man zum Spielen einfach braucht, es war erschütternd, und wie sie äußerlich verfiel. Daß sie von ihrem Wesen her ein ernster Mensch war, dessen Grübeleien bisweilen fast selbstzerstörerische Formen annehmen konnten, machte die Situation auch nicht gerade besser. Wenigstens hatte sie nach der Scheidung eine sehr anständige Abfindung bekommen, und so konnte sie es sich leisten, eine Weile nicht zu arbeiten.«
    Eine entfernte Verwandte von M - aber de facto gleichsam ihre zweite Mutter - war mit einem bekannten Politiker und ehemaligen Minister verheiratet. Durch sie lernte M eine Geistheilerin kennen, die ausschließlich für eine sehr kleine, exklusive Klientel arbeitete. Ein Jahr lang suchte M ihrer Depression wegen diese Frau regelmäßig auf, aber worin die Behandlung genau bestand, weiß niemand. M selbst hat sich nie dazu geäußert. Was es auch gewesen sein mag, es scheint gewirkt zu haben. Schon nach relativ kurzer Zeit konnte M auf die Antidepressiva verzichten, was zur Folge hatte, daß die seltsame Aufgeschwemmtheit, die das Medi-kament verursacht hatte, rasch abklang, ihr Haar seine Fülle zurückgewann und ihre ganze Schönheit wiederhergestellt war. Ihr psychischer Zustand besserte sich ebenso rasch, und langsam kehrte sie wieder zur Schauspielerei zurück. An diesem Punkt stellte sie ihre Besuche bei der Geistheilerin ein.
    Im Oktober dieses Jahres aber, gerade als die Erinnerung an ihren Alptraum zu verblassen begann, brachen die Symptome ganz plötzlich und ohne jeden erkennbaren Anlaß wieder aus. Der Zeitpunkt hätte für M kaum ungünstiger sein können: Es fehlten nur noch wenige Tage bis zum Beginn der Dreharbeiten zu ihrem nächsten Film, und in ihrem gegenwärtigen Zustand hätte sie unmöglich spielen können. M setzte sich sofort mit der Heilerin in Verbindung und bat um Behandlung, aber die Frau erklärte ihr, sie praktiziere nicht mehr. »Es tut mir leid«, sagte sie, »aber ich kann nichts für Sie tun. Ich bin nicht mehr dazu imstande. Ich habe meine Kraft verloren. Es gäbe zwar jemanden, an den ich Sie verweisen könnte, aber Sie müßten sich zu absolutem Stillschweigen verpflichten. Wenn Sie darüber zu irgend jemandem auch nur ein einziges Wort verlieren, werden Sie es bereuen. Ist das klar?«
    Offenbar wurde M angewiesen, sich an einen bestimmten Ort zu begeben, von wo aus sie zu einem Mann mit einem bläulichen Mal im Gesicht geführt wurde. Der etwa dreißigjährige Mann sprach, solange sie dort war, kein einziges Wort, aber seine Behandlungs-methode soll »unglaublich wirkungsvoll« gewesen sein. M wollte nicht verraten, wieviel sie für die Sitzung bezahlt hat, aber die »Konsultationsgebühr« dürfte recht ansehnlich gewesen sein.
    Folgendes soll M einem »sehr engen« Freund über die geheimnisvolle Behandlung anvertraut haben: M mußte sich zunächst in »einem bestimmten Hotel in der City« einfinden, wo sie einen jungen Mann traf, der den Auftrag hatte, sie zu dem Heiler zu bringen. Sie verließen das Hotel in »einem großen schwarzen Wagen«, der in einem reservierten Bereich der Tiefgarage geparkt hatte, und fuhren zu dem Ort, wo die Behandlung stattfand. Was die Behandlung als solche anbelangt, haben unsere Nachforschungen allerdings nichts ergeben. M soll ihrem Freund gesagt haben: »Diese Leute besitzen unglaubliche Kräfte. Wenn ich mein Versprechen brechen würde, könnte mir etwas Schreckliches zustoßen.«
    M hat diesen Ort nur ein einziges Mal aufgesucht, und sie hat seither keine Anfalle mehr erlitten. Wir haben versucht, durch ein persönliches Gespräch mit M näheres über die Behandlung und die geheimnisvolle Frau in Erfahrung zu bringen, aber erwar-tungsgemäß hat es die Schauspielerin abgelehnt, uns zu empfangen. Wie aus gut unterrichteter Quelle zu erfahren war, meidet diese »Organisation« normal-erweise Kontakte zum Showgeschäft und konzentriert sich vielmehr auf die verschwiegeneren Kreise von Politik und Wirtschaft. Unsere Beziehungen zur Unterhaltungsbranche haben bislang keine weiteren Informationen erbracht …

13
    D ER MANN, DER WARTETE
    WAS NICHT ABZUSCHÜTTELN WAR
    KEIN MENSCH IST EIN EILAND
     
    Es war nach acht Uhr, und alles war dunkel, als ich die Hintertür öffnete und auf die Gasse hinaustrat. Ich mußte mich seitwärts hindurchquetschen. Das weniger als einen Meter hohe Törchen war so geschickt in die Ecke des Zauns eingebaut, daß man von außen nichts bemerkte. Die

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