Mister Aufziehvogel
machte er den Mund auf.
»Jetzt hätte ich fast vergessen, mich vorzustellen. Normalerweise bin ich nicht so unhöflich. Ushikawa ist mein Name. Also ushi wie ›Stier‹ und kawa wie ›Fluß‹. Ganz leicht zu merken, finden Sie nicht? Alle nennen mich Ushi. Komisch: Je öfter ich das höre, um so mehr fühle ich mich wie ein echter Stier. Ich empfinde sogar eine gewisse Seelenverwandtschaft, wenn ich mal irgendwo einen Stier auf der Weide sehe. Namen sind schon eine komische Sache, finden Sie nicht, Herr Okada? Nehmen Sie zum Beispiel Okada. Das ist ein hübscher, sauberer Name: ›Hügel-Feld‹. Manchmal wünschte ich mir, ich hätte so einen normalen Namen, aber leider kann man sich seinen Nachnamen ja nicht aussuchen. Ist man erst einmal als Ushikawa auf die Welt gekommen, bleibt man Ushikawa bis ans Lebensende, ob’s einem paßt oder nicht. Ich werd schon seit dem Kindergarten Ushi genannt. Da ist nichts gegen zu machen. Wenn einer Ushikawa heißt, können Sie Gift drauf nehmen, daß ihn sofort jeder Ushi nennt, hab ich recht? Es heißt doch immer, daß der Name die Sache beschreibt, für die er steht, aber ich frag mich, ob es nicht in Wirklichkeit andersrum ist: Die Sache paßt sich mehr und mehr ihrem Namen an. Wie auch immer, ich bin also der Ushikawa, und wenn Ihnen danach ist, nennen Sie mich ruhig Ushi. Ich hab nichts dagegen.« Ich ging in die Küche und holte mir ein Bier aus dem Kühlschrank. Ushikawa bot ich keins an. Schließlich hatte ich ihn nicht hereingebeten. Ich sagte nichts und trank mein Bier, und Ushikawa sagte nichts und tat einen tiefen Zug an seiner Zigarette. Ich setzte mich nicht in den Sessel, der ihm gegenüberstand, sondern blieb an einen Pfosten gelehnt stehen und sah auf den Mann hinab. Schließlich drückte er seinen Stummel in der leeren Katzenfutterdose aus und sah zu mir auf. »Sie fragen sich bestimmt, wie ich hier reingekommen bin, Herr Okada. Stimmt’s? Sie sind sicher, daß Sie die Tür abgeschlossen hatten. Und tatsächlich war sie abgeschlossen. Aber ich hab einen Schlüssel. Einen richtigen Schlüssel. Sehen Sie, da ist er.«
Er steckte eine Hand in die Jackentasche, zog einen Schlüsselring mit einem einzelnen Schlüssel heraus und hielt ihn, für mich sichtbar, in die Höhe. Keine Frage, er sah wie der Schlüssel zu diesem Haus aus. Aber was meine Aufmerksamkeit erregte, war die Schlüsseltasche. Sie sah genauso aus wie die von Kumiko: eine schlichte, grüne, lederne Schlüsseltasche mit einem Ring, der sich auf eine ungewöhnliche Weise öffnen ließ.
»Das ist schon der richtige«, sagte Ushikawa. »Wie Sie sehen. Und das Täschchen gehört Ihrer Frau. Nur damit keine Mißverständnisse entstehen: Das hat mir Ihre Frau, Kumiko, selbst gegeben. Ich hab es ihr nicht etwa gestohlen oder mit Gewalt abgenommen.«
»Wo ist Kumiko?« fragte ich. Meine Stimme klang irgendwie nicht ganz wie sie selbst.
Ushikawa nahm seine Brille ab, schien den Trübheitsgrad der Gläser zu überprüfen und setzte sie dann wieder auf. »Ich weiß ganz genau, wo sie ist«, sagte er. »Schließlich hab ich ein Auge auf sie.«
»›Ein Auge auf sie?‹«
»Verstehen Sie mich jetzt bitte nicht falsch. Ich meine das nicht so. Keine Sorge«, sagte Ushikawa mit einem Lächeln. Als er lächelte, ging sein Gesicht asymmetrisch auseinander, und seine Brille stellte sich schief. »Sehen Sie mich bitte nicht so böse an. Ich helfe ihr nur ein bißchen, das gehört zu meinen Aufgaben - Besorgungen erledigen, was grad so anfällt. Ich bin einfach der Laufbursche. Sie wissen doch, daß sie nicht aus dem Haus kann.«
»›Nicht aus dem Haus kann‹?« wiederholte ich.
Er zögerte einen Moment und fuhr sich mit der Zunge kurz über die Lippen. »Na ja, dann wissen Sie es vielleicht doch nicht. Ist schon in Ordnung. Ich kann auch gar nicht mit Sicherheit sagen, ob sie nicht aus dem Haus kann oder nicht aus dem Haus will. Sie möchten sicher mehr wissen, Herr Okada, aber stellen Sie mir bitte keine Fragen. Ich bin selbst nicht in alle Einzelheiten eingeweiht. Aber es besteht für Sie überhaupt kein Grund zur Sorge. Sie wird nicht gegen ihren Willen festgehalten. Ich meine, das ist hier schließlich kein Film oder Roman. Wir könnten so was ja gar nicht.«
Ich stellte meine Bierdose behutsam auf den Boden. »Wie auch immer - vielleicht verraten Sie mir endlich, was Sie hier eigentlich wollen.«
Nachdem er sich mehrmals mit gespreizten Händen auf die Knie geklopft hatte, nickte Ushikawa einmal
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