Mister Aufziehvogel
keinerlei Anstalten aufzustehen. Ich sah ihn an, wie er dasaß, und sagte nichts.
»Das war bestimmt ein ziemlicher Schock für Sie - jemanden in Ihrem Haus vorzufinden, der im Dunkeln auf Sie wartet. Tut mir leid. Wirklich. Aber wenn ich Licht gemacht hätte, wären Sie vielleicht nicht reingekommen. Ich will Ihnen gar nichts tun, glauben Sie mir, Sie brauchen mich also nicht so anzusehen. Ich müßte mich nur ein bißchen mit Ihnen unterhallen.«
Er war kleinwüchsig und steckte in einem Anzug. Solange er saß, war es schwer zu schätzen, aber er dürfte allerhöchstens anderthalb Meter groß gewesen sein. Er war zwischen fünfundvierzig und fünfzig und sah wie eine pummelige kleine Kröte mit Glatze aus - nach May Kasaharas Klassifikationssystem ein eindeutiges A. Über den Ohren hatte er zwar noch ein paar Büschel Haare, aber durch die seltsamen schwarzen Sprenkel, die sie bildeten, sprang die kahle Fläche darüber nur um so mehr ins Auge. Seine große Nase schien, danach zu urteilen, wie sie sich mit jedem geräuschvollen Atemzug blasebalgartig blähte und zusammenzog, ziemlich verstopft zu sein. Auf dieser Nase saß eine Nickelbrille mit dick aussehenden Gläsern. Er hatte eine Art, bestimmte Wörter so auszusprechen, daß sich seine Oberlippe schürzte und einen Mundvoll schiefer, tabakfleckiger Zähne sichtbar werden ließ. Fraglos war er einer der häßlichsten Menschen, die mir je über den Weg gelaufen sind. Und nicht bloß körperlich häßlich: Es ging etwas Klebrig-Unheimliches von ihm aus, das ich nicht in Worte fassen konnte - ein solches Gefühl hat man sonst nur, wenn einem im Dunkeln plötzlich ein großes, vielbeiniges Kerbtier über die Hand läuft. Er sah weniger wie ein realer Mensch aus als wie ein Überbleibsel aus einem längst vergessenen Alptraum. »Hätten Sie was dagegen, wenn ich rauche?« fragte er. »Ich hab mir vorhin alle Mühe gegeben, aber ohne eine Zigarette rumzusitzen und zu warten ist eine Quälerei. Es ist eine sehr schlechte Angewohnheit.«
Da ich nicht gleich etwas herausbrachte, nickte ich lediglich. Der seltsam aussehende Mann holte eine filterlose Peace aus der Tasche seines Jacketts, steckte sie sich zwischen die Lippen und strich mit einem lauten trockenen, kratzenden Geräusch ein Streichholz an. Als die Zigarette brannte, hob er die leere Katzenfutterdose auf, die zu seinen Füßen auf dem Boden stand, und ließ das Streichholz hineinfallen. Er hatte als Aschenbecher also die Dose benutzt. Während er den Rauch mit sichtlichem Genuß einatmete, zog er seine dicken Augenbrauen zu einer einzigen zottigen Linie zusammen und stieß wiederholt ein leises, wollüstiges Stöhnen aus. Jeder Zug, den er machte, ließ die Spitze seiner Zigarette hellrot aufleuchten wie glühende Kohle. Ich öffnete die Verandatür und ließ frische Luft herein. Es fiel ein leichter Regen. Ich konnte es weder hören noch sehen, aber ich merkte es am Geruch, daß es regnete.
Der Mann trug einen braunen Anzug, ein weißes Hemd und einen roten Schlips, alles gleich billig anzusehen und gleichermaßen abgetragen. Die Farbe des Anzugs erinnerte an eine uralte Rostlaube, der ein unbegabter Amateur einen neuen Anstrich verpaßt hat. Die tiefen Knitterfalten an Hose und Jackett sahen so unabänderlich wie Schluchten auf einem Luftbild aus. Das weiße Hemd war vergilbt und stand kurz davor, vorn an der Brust einen Knopf zu verlieren. Mit dem nicht zugeknöpften, schiefsitzenden Kragen wirkte es außerdem um ein, zwei Nummern zu klein. Der Schlips, auf dem ein merkwürdiges Muster von mißgebildetem Ektoplasma prangte, sah aus, als habe er ihn seit der Zeit der Osmond Brothers nicht mehr abgenommen. Jeder hätte auf den ersten Blick erkannt, daß dies ein Mann war, der dem Phänomen »Kleidung« keinerlei Beachtung schenkte. Er trug das, was er trug, einzig aus dem Grund, daß er nun einmal gezwungen war, irgend etwas anzuziehen, bevor er sich unter Menschen begab - als sträube er sich letztlich dagegen, überhaupt bekleidet zu sein. Er könnte auch durchaus vorgehabt haben, dieselben Sachen tagaus, tagein zu tragen, bis sie ihm in Fetzen vom Leib fielen - wie ein Hochlandbauer, der seinen Esel von früh bis spät schindet, bis er ihm eines Tages tot zusammenbricht.
Als er seinen Nikotinbedarf offenbar fürs erste gedeckt hatte, stieß er einen Seufzer der Erleichterung aus und zog eine seltsame Grimasse, die irgendwo zwischen einem Lächeln und einem süffisanten Grinsen anzusiedeln war. Dann
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