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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Gasse tauchte, wie immer erhellt vom kalten weißen Licht der Quecksilberlampe im Garten von May Kasaharas Haus, aus der Nacht auf.
    Ich ließ die Tür zuschnappen und tauchte in die Gasse ein. Durch immer neue Zäune hindurch erhaschte ich flüchtige Einblicke in Eßzimmer oder Wohnzimmer, wo Leute zu Tisch saßen oder fernsahen. Essensgerüche wehten aus Küchenfenstern und Abzugsventilatoren in die Gasse. Ein Junge übte auf seiner Elektrogitarre mit heruntergedrehter Lautstärke einen schnellen Lauf. Hinter einem Fenster im ersten Stock saß ein kleines Mädchen am Schreibtisch und machte mit ernstem Gesicht seine Hausaufgaben. Ein Ehepaar ließ die ganze Gasse an seiner hitzigen Auseinandersetzung teilhaben. Ein Baby schrie. Ein Telefon klingelte. Die Wirklichkeit schwappte in die Gasse wie Wasser aus einem überfüllten Becken - als Geräusch, als Geruch, als Bild, als Bitte, als Entgegnung. Ich trug wie immer meine Tennisschuhe, um beim Gehen keine Geräusche zu machen. Meine Schritte durften weder zu schnell noch zu langsam sein. Es war wichtig, keine Aufmerksamkeit zu erregen, zu verhindern, daß diese »Wirklichkeit« meine vorübergehende Anwesenheit bemerkte. Ich kannte jeden Knick des Weges, jedes Hindernis. Selbst bei völliger Dunkelheit konnte ich die Gasse entlangschleichen, ohne irgendwo anzustoßen. Als ich schließlich auf Höhe meines Hauses angelangt war, blieb ich stehen, sah mich um und kletterte über die niedrige Mauer. Das Haus kauerte stumm in der Dunkelheit wie der Panzer eines riesigen Tieres. Ich schloß die Küchentür auf, schaltete das Licht ein und wechselte das Wasser für den Kater. Ich holte eine Dose Katzenfutter aus dem Schrank und öffnete sie. Oktopus hörte das Geräusch und tauchte aus dem Nichts auf. Er rieb ein paarmal den Kopf an meinem Bein und machte sich dann über sein Futter her. Während er mit Essen beschäftigt war, holte ich mir ein kaltes Bier aus dem Kühlschrank.
    Abendessen gab es in der »Zentrale« - Zimt machte mir immer etwas zurecht -, und so aß ich hier höchstens einmal einen Salat oder eine Scheibe Käse. Zwischen zwei Schlucken Bier nahm ich den Kater auf den Schoß und bestätigte mir mit meinen Händen, wie warm und weich er war. Nachdem wir den Tag an verschiedenen Orten zugebracht hatten, bestätigten wir uns gegenseitig die Tatsache, daß wir wieder zu Haus waren.
     
    Als ich heute abend jedoch aus den Schuhen schlüpfte und die Hand nach dem Schalter für das Küchenlicht ausstreckte, spürte ich, daß da jemand war. Ich hielt in der Bewegung inne und lauschte, leise einatmend, in die Dunkelheit. Ich hörte nichts, nahm aber einen leichten Tabakgeruch wahr. Es war jemand im Haus, jemand, der darauf gewartet hatte, daß ich zurückkäme, jemand, der sich - wahrscheinlich nach längerem inneren Ringen - erst vor wenigen Augenblicken eine Zigarette angezündet hatte. Er hatte nur ein paar Züge geraucht und anschließend gelüftet, aber der Geruch war geblieben. Die Haustür war noch abgeschlossen, und aus meinem Bekanntenkreis rauchte nur Muskat Akasaka - die, wenn sie mich hätte sprechen wollen, kaum im Dunkeln gewartet hätte. Instinktiv streckte ich in der Dunkelheit die Hand nach dem Schläger aus. Aber er war nicht mehr da. Jetzt befand er sich auf dem Grund des Brunnens. Mein Herz hatte angefangen, ein unheimliches Geräusch zu machen, als wäre es aus meiner Brust gesprungen und klopfe jetzt direkt neben meinem Ohr. Ich bemühte mich, ruhig weiterzuatmen. Wahrscheinlich brauchte ich den Schläger gar nicht. Wenn jemand mir etwas antun wollte, würde er kaum hier herumsitzen. Trotzdem juckten mir die Handflächen vor Bereitschaft. Meine Hände verlangten danach, den Schläger zu spüren. Oktopus tauchte irgendwo aus der Dunkelheit auf und fing wie gewöhnlich an, zu maunzen und seinen Kopf an meinem Bein zu reiben. Aber er war nicht so hungrig wie sonst, das erkannte ich an seinen Lauten. Ich streckte die Hand aus und schaltete das Küchenlicht an.
    »Tut mir leid, aber ich hab mir erlaubt, der Katze ihr Futter zu geben«, sagte der Mann, der im Wohnzimmer auf dem Sofa saß, mit einem leichten Singsang in der Stimme. »Ich hab sehr lang auf Sie gewartet, Herr Okada, und die Katze lief mir dauernd über die Füße und miaute, also hab ich - ich hoffe, es war in Ordnung - im Schrank nachgeguckt und eine Dose Katzenfutter gefunden und sie ihr gegeben. Ich sag’s Ihnen ehrlich, ich kann mit Katzen nicht besonders gut.«
    Er machte

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