Mister Aufziehvogel
Aufbietung all seiner Kraft von der Mitte des Bettes weg und drückte sich selbst auf das bißchen Platz, das ihm bis zur Kante blieb. Er mußte sich hier einen Platz sichern. Sonst konnte es passieren, daß er aus dieser Welt, in die er gehörte, hinausgestoßen wurde. Eingeengt und ohne Kissen, wie er war, fühlte sich der Junge trotzdem, kaum daß er sich hingelegt hatte, unglaublich müde. Er konnte nicht mehr denken. Im nächsten Moment war er tief eingeschlafen.
Als der Junge am nächsten Morgen aufwachte, lag er in der Mitte des Bettes, allein. Sein Kopf lag wie immer auf dem Kissen. Er richtete sich langsam auf und sah sich um. Auf den ersten Blick wirkte das Zimmer unverändert. Da waren derselbe Schreibtisch, dieselbe Kommode, derselbe Schrank, dieselbe Stehlampe wie immer. Die Wanduhr zeigte zwanzig nach sechs. Aber der Junge wußte, daß irgend etwas nicht stimmte. Es mochte alles wie immer aussehen, aber das hier war nicht das Zimmer, in dem er letzte Nacht eingeschlafen war. Die Luft, das Licht, die Geräusche, die Gerüche, alles war ein ganz kleines bißchen anders als vorher. Anderen wäre es vielleicht nicht aufgefallen, aber der Junge spürte es. Er schlug die Decke zurück und sah an sich herunter. Er hielt die Hände in die Höhe und bewegte die Finger, einen nach dem anderen. Sie bewegten sich, wie sie sollten. Und seine Beine bewegten sich. Nichts tat ihm weh oder juckte. Er schlüpfte aus dem Bett und ging auf die Toilette. Als er gepinkelt hatte, stellte er sich vor das Waschbecken und betrachtete im Spiegel sein Gesicht. Er zog die Pyjamajacke aus, stellte sich auf einen Stuhl und betrachtete das Spiegelbild seines hellhäutigen kleinen Körpers. Er fand nichts Ungewöhnliches.
Dennoch war irgend etwas anders. Er fühlte sich so, als sei sein Ich in ein neues Gefäß gesteckt worden. Er merkte, daß er sich an diesen seinen neuen Körper noch nicht ganz gewöhnt hatte. Irgend etwas an diesem hier, spürte er, paßte einfach nicht zu seinem ursprünglichen Ich. Plötzlich überkam ihn Hilflosigkeit, und er versuchte, nach seiner Mutter zu rufen, aber das Wort wollte nicht aus seiner Kehle kommen. Seine Stimmbänder waren nicht imstande, die Luft in Schwingung zu versetzen, als sei das Wort »Mutter« überhaupt aus der Welt verschwunden. Der Junge brauchte nicht lang, um zu begreifen, daß nicht das Wort verschwunden war.
12
M S GEHEIMNISVOLLE HEILUNG
Die Welt des Showgeschäfts und das Okkulte
[Aus The - Monthly, November]
[ … ] Diese okkulten Heilmethoden, die bei unseren Unterhaltungskünstlern der letzte Schrei zu sein scheinen, werden in der Regel durch Mundpropaganda bekannt, aber in manchen Fällen erinnern sie eher an die Praktiken gewisser Geheim-organisationen.
Nehmen wir zum Beispiel »M«, heute 33. Debütierte vor zehn Jahren als Nebendarstellerin in einer TV-Serie, von Publikum und Kritik gut aufgenommen, seitdem Hauptrollen in Film und Fernsehen, vor sechs Jahren Heirat mit erfolgreichem jungem Grundstücks-spekulanten, keinerlei Probleme während der ersten beiden Ehejahre. Seine Geschäfte gingen gut, und sie glänzte in mehreren Filmrollen. Aber dann gerieten der Dinnerclub und die Boutique, die er nebenbei in ihrem Namen betrieb, in Zahlungsschwierigkeiten, und er fing an, ungedeckte Schecks auszustellen, für die sie haftbar gemacht wurde. M war nie darauf erpicht gewesen, ins Geschäfts-leben einzusteigen, aber ihr Mann wollte unbedingt expandieren und hatte sie mit mehr oder weniger sanftem Druck zum Mitspielen bewogen. Einer Theorie zufolge wurde der Mann Opfer eines abgekarteten Schwindels. Hinzu kam, daß Ms Beziehungen zu ihren Schwiegereltern von jeher ziemlich frostig gewesen waren. Bald gab es Klatsch über die Probleme, die M mit ihrem Mann hatte, und es dauerte nicht lange, bis die beiden sich trennten.
Vor zwei Jahren wurde ihre Ehe, nachdem sie mit Hilfe eines Schiedsgerichts ihre finanzielle Situation geregelt hatten, rechtskräftig aufgelöst, aber danach begannen sich bei M Anzeichen einer schweren Depression bemerkbar zu machen, die sie schließlich zwangen, sich in therapeutische Behandlung zu begeben. Ihre Karriere schien damit beendet zu sein. Wie uns ein Mitarbeiter ihres damaligen Studios verriet, litt M seit ihrer Scheidung unter schweren Wahnvorstellungen. Sie ruinierte sich mit Antidepressiva die Gesundheit, und schließlich hieß es über sie einhellig: »Als Schauspielerin ist sie erledigt.« Unser Gewährsmann erklärte:
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