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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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hat? Was spielt sich hinter dem hohen Zaun ab? Rätsel über Rätsel …‹
    Wie auch immer, Dr. Wataya hat den Artikel gelesen, und ihm ist aufgegangen, daß das ›Selbstmörderhaus‹ ganz in der Nähe Ihres Hauses liegt, Herr Okada. Da begann der Verdacht an ihm zu nagen, daß Sie irgend etwas damit zu tun haben könnten. Also ging er der Sache nach … oder sollte ich besser sagen: der nichtswürdige Ushikawa nahm sich die Freiheit, mit seinen Stummelbeinchen der Sache nachzugehen, und - bingo! - da liefen Sie, Herr Okada, genau wie er es vorausgesagt hatte, doch tatsächlich Tag für Tag diesen Schleichpfad lang zu diesem Haus, immer hin und her, und hatten offensichtlich eine ganze Menge mit dem zu tun, was da drinnen ablief. Ich muß sagen, ich war zutiefst verblüfft über diesen Beweis von Dr. Watayas messerscharfer Intelligenz. Bislang hat es nur diesen einen Artikel gegeben, keine Fortsetzung, aber wer weiß? Eingeschlafene Hunde sind leicht wieder aufzuwecken. Ich meine, das ist ja eine ganz schön faszinierende Story. Folglich ist Dr. Wataya ziemlich nervös. Was, wenn der Name seines Schwagers in irgendeinem unerfreulichen Zusammenhang genannt würde? Denken Sie doch nur an den Skandal, der da ausbrechen könnte! Schließlich ist Dr. Wataya der Mann des Tages. Das wäre für die Medien ein gefundenes Fressen. Und dann ist da noch diese komplizierte Geschichte mit Ihnen und Frau Kumiko. Man würde die Sache völlig unnötig aufbauschen. Ich meine, jeder hat etwas, was er lieber nicht an die große Glocke gehängt wissen möchte, habe ich recht? Ganz besonders, wenn es um private Angelegenheiten geht. Schließlich und endlich befindet sich Dr. Watayas politische Laufbahn gegenwärtig in einer äußerst heiklen Phase. Er muß sich jeden Schritt genaustens überlegen, bis er soweit ist, daß er richtig loslegen kann. Deswegen möchte er Ihnen ein kleines Geschäft vorschlagen, das er sich da überlegt hat. Wenn Sie, Herr Okada, alle Kontakte zum ›Selbstmörderhaus‹ abbrechen, dann wird er die Möglichkeit, Sie und Frau Kumiko wieder zusammenzubringen, einer ernsthaften und wohlwollenden Prüfung unterziehen. Das wär’s auch schon. Wie finden Sie das, Herr Okada? Habe ich die Sache klar genug dargestellt?«
    »Wahrscheinlich«, sagte ich.
    »Also, was meinen Sie dann dazu? Wie stehen Sie zu dem Ganzen?« Ich kraulte den Kater am Nacken und dachte eine Weile nach. Dann sagte ich: »Ich kapier das nicht. Wie ist Noboru Wataya nur auf die Idee gekommen, daß ich irgend etwas mit dem Haus zu tun haben könnte? Wie hat er die Verbindung hergestellt?«
    Ushikawas Gesicht zerfloß wieder zu einem überbreiten Lächeln, aber seine Augen blieben so kalt wie Glas. Er zog ein zerdrücktes Päckchen Zigaretten aus der Tasche und gab sich mit einem Streichholz Feuer. »Ah, Herr Okada, Sie stellen so schwierige Fragen. Vergessen Sie nicht, ich bin nur ein armseliger Bote. Eine hirnlose Brieftaube. Ich trage Zettelchen hin und her. Ich denke, Sie verstehen, was ich meine. So viel kann ich allerdings sagen: Der Herr Doktor ist kein Idiot. Er weiß seine grauen Zellen zu benutzen, und er hat so etwas wie einen sechsten Sinn, etwas, was gewöhnliche Leute nicht haben. Und vielleicht darf ich Ihnen noch eins sagen, Herr Okada: Er hat Macht, wirkliche Macht, die er in dieser Welt ausüben kann, und sie wird von Tag zu Tag größer. Das sollten Sie besser nicht vergessen. Sie haben vielleicht Ihre Gründe, ihn nicht zu mögen - und mir soll es recht sein, das geht mich gar nichts an -, aber die Dinge haben sich längst über das bloße Stadium von Mögen und Nichtmögen hinaus entwickelt. Ich möchte, daß Sie das begreifen.«
    »Wenn Noboru Wataya so mächtig ist, warum verbietet er der Zeitschrift nicht einfach, weiter solche Artikel zu veröffentlichen? Das wäre doch ein ganzes Stück einfacher.«
    Ushikawa lächelte. Dann tat er einen tiefen Zug an seiner Zigarette. »Mein lieber, lieber Herr Okada, solche Dinge dürfen Sie nicht einmal im Scherz sagen. Wir beide leben schließlich in Japan, in einem der allerdemokratischsten Staaten der Welt. Richtig? Das ist hier keine Diktatur, mit nichts wie Bananenplantagen und Fußballplätzen weit und breit. Egal, wieviel Macht ein Politiker in diesem Land haben mag - die Veröffentlichung eines Zeitschriftenartikels zu unterdrücken ist keine Kleinigkeit. Es wäre viel zu gefährlich. Man könnte es wohl schaffen, die Chefetage zu schmieren, aber irgend jemand geht dabei

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