Mister Aufziehvogel
emphatisch-abgehackt. »Ah, ja. Das habe ich ganz vergessen zu sagen, nicht? Da stelle ich mich erst so umständlich vor, und dann vergesse ich, Ihnen zu sagen, wozu ich überhaupt hier bin! Das ist schon immer einer meiner größten Fehler gewesen: endlos irgendwas Blödes daherzuquasseln und die Hauptsache zu vergessen. Kein Wunder, daß ich ständig was falsch mache! Also schön, jetzt kommt’s, besser spät als nie: Ich arbeite für den älteren Bruder Ihrer Frau, Kumiko. Ushikawa ist mein Name - aber das habe ich Ihnen ja schon gesagt, von wegen Ushi und so. Ich arbeite für Dr. Noboru Wataya als eine Art Privatsekretär - allerdings nicht als die Sorte ›Privatsekretär‹, die ein Abgeordneter vielleicht normalerweise hat. Nur eine bestimmte Sorte Mensch, eine höhere Sorte Mensch, kann ein echter ›Privatsekretär‹ sein. Das Wort deckt ein breites Spektrum unterschiedlichster Typen ab. Ich meine, es gibt Privatsekretäre, und es gibt Privatsekretäre, und ich komme der zweiten Sorte so nah, wie man überhaupt nur kommen kann. Ich bin ganz unten - ich meine, ganz, ganz weit unten. Wenn es überall Geister gibt, dann bin ich einer von den kleinen, dreckigen, die irgendwo im Bad oder im Klo in der allerletzten Ecke sitzen. Aber ich klage nicht, ich klage nicht. Stellen Sie sich doch nur vor, was aus Dr. Watayas Saubermann-Image werden würde, wenn sich ein solcher Schmuddeltyp in die Öffentlichkeit wagte! Nein, die, die vor die Kameras treten, müssen schon geschniegelte, intelligent aussehende Typen sein, keine glatzköpfigen Zwerge. ›Hallo Leute, ich bin’s, Dr. Watayas Privat-seck-rett-tärr.‹ Zum Schießen! Stimmt’s, Herr Okada?« Ich ließ ihn schwatzen und sagte kein Wort.
» Ich erledige für den Herrn Doktor also die unsichtbaren Jobs, die ›Schattenjobs‹ sozusagen, die, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Ich bin der Untergrundmusiker. Solche Jobs sind meine Spezialität. Wie diese Angelegenheit mit Frau Kumiko. Aber nicht, daß Sie mich jetzt falsch verstehen: Sie müssen nicht denken, ein Auge auf sie zu haben wär nur so eine Idiotenbeschäftigung für den letzten kleinen Handlanger. Wenn ich diesen Eindruck erweckt haben sollte, dann tät’s mir fürchterlich leid: Nichts könnte weniger zutreffen. Ich meine, Frau Kumiko ist schließlich das allereinzigste, liebste Schwesterlein vom Herrn Doktor. Ich empfinde es als eine hohe Ehre, eine so wichtige Aufgabe übernehmen zu dürfen, das müssen Sie mir glauben!
Ach, übrigens, auf die Gefahr hin, furchtbar unzivilisiert zu erscheinen, aber meinen Sie, ich könnte ein Bier haben? Vom vielen Reden habe ich einen ziemlichen Durst gekriegt. Wenn Sie nichts dagegen haben, hol ich mir einfach eins. Ich weiß, wo es ist. Während ich gewartet habe, war ich so frei, einen Blick in den Kühlschrank zu werfen.«
Ich nickte ihm zu. Ushikawa ging in die Küche und holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank. Dann setzte er sich wieder aufs Sofa und trank, mit sichtlichem Genuß, direkt aus der Flasche. Sein riesiger Adamsapfel zuckte über dem Knoten seines Schlipses wie irgendein niederes Tier.
»Ich will Ihnen mal was sagen, Herr Okada, ein kaltes Bier am Ende des Tages ist das Beste, was einem das Leben zu bieten hat. Da gibt’s so pingelige Leute, die meinen, wenn Bier zu kalt ist, dann schmeckt’s nicht, aber ich bin da völlig anderer Meinung. Das erste Bier sollte so kalt sein, daß man überhaupt gar nichts schmeckt. Das zweite sollte ein bißchen weniger kalt sein, aber dieses erste muß bei mir wie flüssiges Eis sein. Ich möchte es so kalt haben, daß mir davon die Schläfen weh tun. Das ist natürlich nur mein ganz persönlicher Geschmack.« Noch immer an den Pfosten gelehnt, nahm ich meinerseits einen weiteren Schluck. Die Lippen zu einem geraden Strich zusammengekniffen, musterte Ushikawa ein paar Sekunden lang das Zimmer.
»Ich muß schon sagen, Herr Okada, für einen Mann ohne Frau halten Sie wirklich Ordnung. Ich bin sehr beeindruckt. Ich selbst bin ein absolut hoffnungsloser Fall, muß ich zu meiner Schande gestehen. Meine Bleibe ist eine Katastrophe, eine Müllkippe, ein Saustall. Ich hab die Badewanne seit einem Jahr oder länger nicht geschrubbt. Vielleicht habe ich vergessen zu erwähnen, daß mich meine Frau auch verlassen hat. Vor fünf Jahren. Deswegen kann ich Ihnen ein gewisses Mitgefühl entgegenbringen, Herr Okada, oder, um Mißverständnissen vorzubeugen, sagen wir einfach: Ich kann mir
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