Mister Aufziehvogel
vorstellen, wie Sie sich fühlen. Natürlich war meine Situation eine ganz andere als Ihre. Es war ganz natürlich, daß meine Frau mich verlassen hat. Ich war der schlechteste Ehemann, den man sich vorstellen kann. Ich kann ihr also keinen Vorwurf machen, im Gegenteil, ich muß sie sogar bewundern, daß sie es überhaupt so lang mit mir ausgehalten hat. Ich hab sie geschlagen. Sonst niemanden: sie war die einzige, die ich vermöbeln konnte. Sie sehen ja selbst, was für ein Schwächling ich bin. Ich hab den Mut einer Wanze. Außerhalb des Hauses bin ich jedem in den Arsch gekrochen; die Leute haben mich Ushi genannt und mich rumkommandiert, und ich bin nur um so tiefer gekrochen. Und wenn ich nach Haus kam, hab ich’s an meiner Frau ausgelassen. Hä hä hä - ganz schön mies, was? Und ich wußte, wie mies ich war, aber ich konnt nichts dagegen tun. Das war wie eine Krankheit. Ich hab ihr in die Schnauze gehauen, bis sie nicht wiederzuerkennen war. Und nicht bloß geschlagen hab ich sie: Ich hab sie gegen die Wand geknallt und ihr eine reingetreten, sie mit heißem Tee begossen, ihr Gegenstände an den Kopf geschmissen - was Sie sich nur vorstellen können. Die Kinder haben versucht, mich zu bremsen, und da habe ich eben sie geschlagen. Kleine Kinder: sieben, acht Jahre alt. Und ihnen nicht bloß mal eine geknallt: Ich hab sie mit allem verdroschen, was mir in die Hände kam. Ich war ein absoluter Teufel. Ich versuchte mich zu bremsen, aber es ging nicht. Ich konnte mich nicht beherrschen. Nach einer bestimmten Zeit sagte ich mir immer, du hast genug Schaden angerichtet, jetzt mußt du aufhören, aber ich konnte nicht aufhören. Sehen Sie, was für ein Ungeheuer ich war? Vor fünf Jahren also, als meine Tochter fünf war, da hab ich ihr den Arm gebrochen - einfach durchgeknackst. Und da hat’s meiner Frau endgültig gereicht, und sie hat beide Kinder genommen und mich sitzenlassen. Ich hab sie seitdem nicht wiedergesehen.
Nicht mal was von ihnen gehört. Aber was kann ich schon tun? Es ist meine eigene Schuld.«
Ich entgegnete nichts. Der Kater kam zu mir herüber und miaute kurz, als fühlte er sich nicht genügend beachtet.
»Wie auch immer, tut mir leid, ich wollte Sie nicht mit diesen ganzen langweiligen Einzelheiten behelligen. Sie müssen sich schon fragen, ob ich mit meinem heutigen Besuch eigentlich einen bestimmten Zweck verfolge. Nun, so ist es in der Tat. Ich bin nicht zum Plaudern hergekommen, Herr Okada. Der Herr Doktor - das heißt also, Dr. Wataya - hat mir befohlen, Sie aufzusuchen. Jetzt werde ich Ihnen verraten, was genau er mir gesagt hat, also hören Sie bitte zu. Erstens - Dr. Wataya wäre nicht abgeneigt, seine Einstellung gegenüber einer Beziehung zwischen Ihnen und Frau Kumiko neu zu überdenken. Mit anderen Worten: Sollten Sie beide zu dem Entschluß kommen, daß Sie Ihre frühere Beziehung wieder aufnehmen möchten, würde er keine Einwände dagegen erheben. Momentan hat Frau Kumiko nicht die Absicht, also würde sich vorläufig nichts ändern, aber sollten Sie sich kategorisch gegen eine Scheidung aussprechen und erklären, so lange warten zu wollen, wie es eben dauern mag, so könnte er das akzeptieren. Er wird nicht weiter auf der Scheidung bestehen, wie er es in der Vergangenheit getan hat, und so hätte er auch nichts dagegen, wenn Sie sich - sollten Sie Frau Kumiko irgend etwas mitteilen wollen - meiner Dienste als Boten bedienen wollten. Mit anderen Worten, keine Kraftproben wegen jeder Kleinigkeit mehr: eine Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen, sozusagen. Das ist der erste Punkt meines Auftrags. Was halten Sie davon, Herr Okada?« Ich ließ mich auf dem Fußboden nieder und streichelte dem Kater den Kopf, aber ich sagte nichts. Ushikawa sah mich und den Kater eine Zeitlang an, dann fuhr er fort:
»Nun ja, Herr Okada, natürlich können Sie nichts sagen, solang Sie nicht alles gehört haben, was ich zu sagen habe. Also schön, dann werde ich auch den Rest erzählen. Hier kommt der zweite Punkt. Jetzt wird’s ein bißchen kompliziert, fürchte ich. Es hängt mit dem Artikel ›Das Selbstmörderhaus‹ zusammen, der in einer bestimmten Wochenzeitschrift erschienen ist. Ich weiß nicht, ob Sie ihn gelesen haben, Herr Okada, aber er ist äußerst interessant. Gut geschrieben. ›Verhextes Grundstück in Nobelviertel von Setagaya. Viele Menschen sind dort im Laufe der Jahre eines unnatürlichen Todes gestorben. Wer ist der geheimnisvolle Mann, der das Anwesen gekauft
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