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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Mein Herr sagt mir, was ich tun soll, und ich tu’s. Und die meisten Aufträge, die er mir gibt, sind unerfreulicher Natur. Wenn ich früher die Geschichte von Aladin gelesen habe, hat mir der Geist immer leid getan, wie der sich für andere schinden mußte, aber ich hätte mir nie träumen lassen, daß es mir später mal genauso ergehen würde. Das ist eine traurige Geschichte, kann ich Ihnen sagen. Aber schließlich ist alles, was ich Ihnen gesagt habe, eine Botschaft, die ich zu überbringen hatte. Sie stammt von Dr. Wataya. Die Entscheidung liegt bei Ihnen. Also was sagen Sie? Was für eine Antwort soll ich zurückbringen?« Ich sagte nichts.
    »Natürlich brauchen Sie Bedenkzeit. Das ist völlig in Ordnung. Wir können Ihnen Bedenkzeit geben. Ich erwarte von Ihnen nicht, daß Sie sich jetzt sofort, auf der Stelle, entscheiden. Ich würde Ihnen furchtbar gern sagen: Lassen Sie sich so viel Zeit, wie Sie wollen, aber ich fürchte, so flexibel können wir nicht sein. Erlauben Sie mir nur, folgendes zu sagen, Herr Okada. Hören Sie sich meine persönliche Meinung an. Ein hübsches fettes Angebot wie dieses bleibt nicht ewig auf dem Tisch liegen. Sie könnten grad einen Augenblick wegsehen, und Sie sehen wieder hin, und schwupp, ist es vielleicht weg. Es könnte sich in Luft auflösen, wie der Beschlag auf einer Fensterscheibe. Denken Sie also bitte ernsthaft darüber nach - aber denken Sie schnell. Ich meine, es ist kein schlechtes Angebot. Verstehen Sie, was ich meine?«
    Ushikawa seufzte und sah auf seine Uhr. »O weh, o weh - ich muß los. Ich fürchte, ich hab Ihre Gastfreundschaft wieder über Gebühr beansprucht. Hab mir wieder ein Bierchen schmecken lassen. Und wie üblich hab ich die ganze Konversation allein bestritten. Tut mir aufrichtig leid. Das mag wie eine Ausrede klingen, aber ich weiß nicht, wenn hier ankomme, fühle ich mich anscheinend immer sofort wie zu Haus. Sie haben ein gemütliches Heim, Herr Okada. Daran muß es liegen.« Ushikawa stand auf und trug sein Glas, seine Bierflasche und seinen Aschenbecher zur Spüle.
    »Sie hören bald wieder von mir, Herr Okada. Und ich werde alles Nötige in die Wege leiten, damit Sie mit Frau Kumiko reden können, das verspreche ich Ihnen. Sie können damit schon in allernächster Zukunft rechnen.«
     
    Als Ushikawa gegangen war, öffnete ich die Fenster und ließ den angesammelten Zigarettenrauch hinaus. Dann trank ich ein Glas Wasser. Ich setzte mich auf das Sofa und kraulte Kater Oktopus, der es sich auf meinem Schoß bequem gemacht hatte. Ich stellte mir vor, wie Ushikawa, kaum daß er durch meine Tür getreten war, seine Verkleidung ablegte und zu Noboru Wataya zurückflog. Idiotische Vorstellung.

17
    D ER ANPROBERAUM
    EIN NACHFOLGER
     
    Über die Frauen, die sie aufsuchten, wußte Muskat nichts. Keine von ihnen erzählte je etwas über sich, und Muskat stellte nie irgendwelche Fragen. Die Namen, unter denen sie ihre Termine vereinbarten, waren offensichtlich erfunden. Aber um sie alle schwebte dieser besondere Duft, der durch das Zusammenspiel von Geld und Macht entsteht. Die Frauen selbst kehrten ihre Stellung nie heraus, aber Muskat erkannte an Stil und Sitz ihrer Kleidung, daß sie aus privilegierten Kreisen stammten.
    Aus Rücksicht auf die ausgeprägte Sorge ihrer Klientinnen um die Wahrung ihrer Privatsphäre mietete sie Räume in einem Bürogebäude in Akasaka - einem unauffälligen Gebäude in einem unauffälligen Viertel. Nach sorgfältigem Überlegen beschloß sie, darin ein Modeatelier einzurichten. Sie war tatsächlich einmal Modedesignerin gewesen, und niemand würde es verdächtig finden, wenn eine ganze Reihe von Frauen bei ihr ein- und ausgingen. Ihre Klientinnen waren Damen von etwa Mitte dreißig bis Mitte fünfzig. Sie stattete die Räume mit Stoffproben, Entwürfen und Modezeitschriften aus, besorgte die Utensilien, Arbeitstische und Schneiderpuppen, die zu einem Modeatelier gehörten, und ging sogar so weit, ein paar Modelle zu entwerfen, um dem »Atelier« ein authentisches Gepräge zu verleihen. Den kleineren der beiden Räume bestimmte sie zum Anproberaum. Ihre Klientinnen sollten in diesen »Anproberaum« geführt werden, und auf dem Sofa würde Muskat bei ihnen die nötigen »Änderungen« vornehmen. Die Liste ihrer Klientinnen wurde von der Frau des Besitzers eines großen Kaufhauses zusammengestellt. Diese Frau hatte aus ihrem großen Bekanntenkreis eine handverlesene Anzahl vertrauenswürdiger Kandidatinnen

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