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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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die er drei Tage vorher angehabt hatte. Ich konnte mich täuschen, aber zumindest trug er dieselbe Art von Anzug und Hemd und Schlips: schmuddelig und knittrig und ausgebeult. Diese erbarmungswürdigen Kleidungsstücke sahen so aus, als habe man sie gezwungen, einen ungerecht hohen Anteil an den Mühen und Bürden des Daseins auf sich zu nehmen. Wenn es möglich gewesen wäre, auf irgendeinem karmischen Wege als Ushikawas Kleidung wiedergeboren zu werden und dabei die Garantie zu haben, daß man in der nächsten Reinkarnation der erlesensten Herrlichkeiten teilhaftig werden würde - ich hätte trotzdem dankend abgelehnt. Nachdem er um Erlaubnis gebeten hatte, holte sich Ushikawa ein Bier aus dem Kühlschrank, vergewisserte sich, daß die Flasche seinen Vorstellungen von Kälte entsprach, und goß dann den Inhalt in ein Glas, das er auf der Ablage gefunden hatte. Wir setzten uns an den Küchentisch.
    »Also schön«, sagte Ushikawa. »Im Interesse einer Zeitersparnis werde ich auf allen Small-talk verzichten und gleich zum geschäftlichen Teil kommen. Sie möchten gern mit Frau Kumiko reden, stimmt’s, Herr Okada? Persönlich. Unter vier Augen. Ich glaube, das wollen Sie schon seit einer ganzen Weile. Mehr als alles andere. Hab ich recht?«
    Ich dachte darüber nach. Beziehungsweise, ich schwieg ein paar Augenblicke lang, als dächte ich darüber nach.
    »Natürlich würde ich gern mit ihr reden, wenn es möglich wäre.«
    »Es ist nicht unmöglich«, sagte Ushikawa leise und nickte mit dem Kopf. »Aber daran sind bestimmte Bedingungen geknüpft …?«
    »Daran sind keine Bedingungen geknüpft.« Ushikawa nahm einen Schluck. »Wohl aber möchte ich Ihnen heute abend einen neuen Vorschlag unterbreiten. Hören Sie sich bitte an, was ich zu sagen habe, und denken Sie ernsthaft darüber nach. Dieses Angebot ist vollkommen unabhängig davon, ob Sie mit Frau Kumiko sprechen oder nicht.« Ich sah ihn an, ohne etwas zu sagen.
    »Also zunächst einmal, Herr Okada - Sie haben doch das Grundstück samt Haus von einer bestimmten Gesellschaft gemietet, nicht wahr? Das ›Selbstmörderhaus‹, meine ich. Sie zahlen dafür monatlich einen ziemlich hohen Geldbetrag. Sie haben allerdings keinen gewöhnlichen Mietvertrag, sondern einen mit der Option, das Objekt in ein paar Jahren zu kaufen. Richtig? Ihr Vertrag ist natürlich eine rein privatrechtliche Vereinbarung, und so erscheint Ihr Name nirgendwo in amtlichen Unterlagen - was ja auch der Sinn der Übung ist. De facto sind Sie allerdings der Eigentümer des Anwesens, und die Mietzahlungen, die Sie leisten, erfüllen denselben Zweck wie Hypothekentilgungen. Der Gesamtbetrag, den Sie für das Ganze, einschließlich Haus, zu entrichten haben, beläuft sich auf- lassen Sie mich mal nachdenken - über den Daumen gepeilt, achtzig Millionen Yen, richtig? Bei dem gegenwärtigen Tempo müßten Sie es schaffen, das Anwesen in nicht ganz zwei Jahren vollständig abzubezahlen und damit auch de jure zu dessen Eigentümer zu werden. Das ist äußerst eindrucksvoll! Sehr schnelle Arbeit! Meine Gratulation.«
    Ushikawa sah mich Bestätigung heischend an, aber ich blieb stumm. »Fragen Sie mich bitte nicht, woher ich das alles so genau weiß. Wenn man nur tief genug gräbt, findet man immer, was man sucht - vorausgesetzt, man weiß, wo man graben soll. Und ich habe auch eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wer hinter dieser Scheinfirma steckt. Also das war schon ein ziemliches Stück Arbeit! Ich mußte dafür durch ein wahres Labyrinth kriechen. Es war so, als würde man nach einem gestohlenen Auto suchen, das umgespritzt worden ist und neue Reifen und neue Sitzbezüge bekommen hat, und bei dem die Seriennummer vom Motor abgefeilt worden ist. Die haben ihre Spuren ausgezeichnet verwischt. Das sind echte Profis. Aber jetzt weiß ich ziemlich genau, was da läuft - wahrscheinlich genauer als Sie, Herr Okada. Ich wette, Sie haben nicht mal eine Ahnung, wem Sie eigentlich das Geld zurückzahlen, stimmt’s?«
    »Das stimmt. Geld trägt kein Namensschildchen.«
    Ushikawa lachte. »Sie haben vollkommen recht, Herr Okada. Geld trägt kein Namensschildchen. Sehr gut formuliert! Das muß ich mir aufschreiben. Aber schließlich, Herr Okada, laufen die Dinge nicht immer so, wie man es gern hätte. Nehmen Sie zum Beispiel die Jungs vom Finanzamt. Die sind nicht besonders helle. Steuern können die nur aus Sachen rausquetschen, die ein Namensschildchen tragen. Und so spucken die sich in die Hände und

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