Mister Aufziehvogel
der Oberschicht oder höhere Beamtentypen. Na schön: Ich hab einen Haß auf die. Werden gleich mit eingebautem roten Teppich geboren, kriegen eine hübsche Frau ab, selbstzufriedene Scheißkerle allesamt. Ich mag Burschen wie Sie, Herr Okada, die sich alles selbst aufgebaut haben.«
Ushikawa riß ein Streichholz an und zündete sich eine neue Zigarette an. »Das halten Sie aber nicht ewig durch. Früher oder später ist der Saft raus. Das ist bei jedem so. So sind die Menschen nun mal geschaffen. Entwicklungsgeschichtlich gesprochen, hat der Mensch gerade erst gestern gelernt, auf zwei Beinen zu laufen und sich mit komplizierten Gedanken in Schwierigkeiten reinzumanövrieren. Also keine Sorge: Ihnen geht schon noch die Puste aus. Ganz besonders in der Welt, mit der Sie fertig zu werden versuchen: da geht jedem die Puste aus. Da laufen einfach zu viele kitzlige Sachen drin ab, zu viele Möglichkeiten, in Schwierigkeiten zu geraten. Das ist eine Welt, die überhaupt nur aus kitzligen Sachen besteht. Ich arbeite in dieser Welt seit der Zeit von Dr. Watayas Onkel, und jetzt hat der Herr Doktor sie geerbt, mit dem gesamten lebenden und toten Inventar. Früher hab ich mir meine Brötchen mit ziemlich riskanten Sachen verdient. Wenn ich so weitergemacht hätte, wäre ich jetzt im Gefängnis - oder tot. Ohne Scherz. Der Onkel vom Herrn Doktor hat mich gerade noch rechtzeitig aufgelesen. Diese Schweinsäuglein hier haben also eine verdammte Menge gesehen. Jedem geht in dieser Welt die Puste aus: Amateur, Profi, spielt keine Rolle, bei allen ist früher oder später der Saft raus, alle holen sich eine blutige Nase, die Guten wie die Bösen, einer wie der andere. Deswegen sieht jeder zu, daß er ein bißchen was auf die hohe Kante legt, eine kleine Versicherung abschließt. Hab ich selbst auch gemacht, der Ushi-aus-der-Gosse. Auf die Art braucht man nicht zu verhungern, wenn der Saft mal raus ist. Wenn man ganz allein ist und nirgendwo hingehört, braucht man nur ein einziges Mal auf die Nase zu fallen und ist weg vom Fenster. Erledigt.
Vielleicht sollte ich Ihnen das nicht sagen, Herr Okada, aber Sie sind reif zum Umfallen. Das ist so sicher wie sonstwas. So steht’s in meinem Buch, in dicken schwarzen Lettern, nur ein paar Seiten weiter: ›TORU OKADA UNMITTEL-BAR VOR ZUSAMMENBRUCH.‹ Das ist die reine Wahrheit. Ich versuche nicht, Ihnen Angst einzujagen. Was diese Welt anbelangt, sind meine Prognosen weit verläßlicher als die Wettervorhersage im Fernsehen. Womit ich eigentlich nur folgendes sagen will: Irgendwann kommt für jeden der richtige Zeitpunkt zum Aussteigen.«
Hier klappte Ushikawa den Mund zu und sah mich an. Dann fuhr er fort: »Also hören wir jetzt mit diesem gegenseitigen Aufdenzahnfühlen auf, Herr Okada, und reden wir Tacheles … Womit wir zum Ende einer sehr langen Einleitung kommen und ich Ihnen das Angebot unterbreiten kann, wegen dem ich gekommen bin.«
Ushikawa legte beide Hände auf den Tisch. Dann fuhr er sich mit der Zunge über die Lippen.
»Sagen wir also, ich habe Ihnen gerade empfohlen, sich von diesem Grundstück zu trennen und aus dem Geschäft auszusteigen. Aber vielleicht können Sie nicht aussteigen - selbst wenn Sie wollten. Vielleicht sitzen Sie fest, bis Sie das Darlehen zurückgezahlt haben.« Ushikawa unterbrach sich und warf mir einen forschenden Blick zu. »Wenn Geld das Problem ist, können wir Ihnen helfen. Wenn Sie achtzig Millionen Yen brauchen, kann ich Ihnen achtzig Millionen Yen bringen, hübsch ordentlich gebündelt. Das sind achttausend Zehntausend-Yen-Scheine. Sie können Ihre verbleibende Schuld tilgen und den Rest einstecken, rein netto steuerfrei. Und dann fängt das Lotterleben an! Na, wie fänden Sie das?«
»Und damit gehen Grundstück und Haus in Noboru Watayas Besitz über? Ist das die Idee dabei?«
»Vermutlich ja, wie die Dinge nun mal zu laufen pflegen. Allerdings wird man sich wohl noch um eine ganze Menge lästiger Details und Papierkram kümmern müssen …«
Ich ließ mir sein Angebot durch den Kopf gehen. »Wissen Sie, Ushikawa, das ist mir wirklich zu hoch. Ich verstehe einfach nicht, warum Noboru Wataya so versessen darauf ist, mich aus diesem Grundstück herauszubekommen. Was will er denn damit anfangen, wenn es ihm erst einmal gehört?«
Ushikawa rieb sich langsam mit der offenen Hand über die Wange. »Tut mir leid, Herr Okada, über solche Einzelheiten weiß ich nichts. Wie ich Ihnen eingangs sagte, bin ich nur eine dumme Brieftaube.
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