Mister Aufziehvogel
tippen.
›Zuerst die gute Neuigkeit: Der Kater ist in diesem Frühjahr zurückgekehrt. Ganz aus heiterem Himmel. Er war ein bißchen abgemagert, aber gesund und unversehrt. Seitdem hat er sich nicht mehr aus dem Haus gerührt. Ich weiß, daß ich dich vorher hätte fragen sollen, aber ich habe ihm einen neuen Namen gegeben. Oktopus. Wie Tintenfisch. Wir kommen prima miteinander aus. Das dürfte doch eine gute Nachricht sein, oder?‹
Es folgt eine Pause. Ich kann nicht entscheiden, ob es eine normale, durch diese Form der Kommunikation bedingte Verzögerung ist oder ob Kumiko schweigt.
›Es freut mich sehr zu hören, daß der Kater noch am Leben ist! Ich hatte mir Sorgen um ihn gemacht.‹
Ich merke, daß mein Mund trocken geworden ist, und befeuchte ihn mir mit einem Schluck Kaffee. Dann fange ich wieder an zu tippen.
›Jetzt zu den schlechten Neuigkeiten. Ja - abgesehen von der Tatsache, daß der Kater zurück ist, scheint es überhaupt nur schlechte Neuigkeiten zu geben. Zunächst einmal ist es mir noch immer nicht gelungen, auch nur ein einziges Rätsel zu lösen.‹
Ich lese noch einmal durch, was ich geschrieben habe, und tippe dann weiter.
›Erstes Rätsel: Wo bist du jetzt? Was tust du da? Warum versteckst du dich weiter vor mir? Warum willst du mich nicht sehen? Gibt’s dafür einen bestimmten Grund? Ich meine, es gibt soviel Dinge, über die wir persönlich, unter vier Augen, sprechen müßten. Meinst du nicht auch?‹
Sie braucht einige Zeit, um darauf zu antworten. Ich stelle mir vor, wie sie vor der Tastatur sitzt, an ihrer Lippe nagt und nachdenkt. Endlich fängt der Cursor an, entsprechend der Bewegung ihrer Finger über den Bildschirm zu laufen.
›Alles, was ich dir zu sagen hatte, habe ich damals in dem Brief geschrieben. Ich möchte vor allem eins: daß du begreifst, daß ich in vielerlei Hinsicht nicht mehr die Kumiko bin, die du kanntest. Leute ändern sich aus den verschiedensten Gründen, und in manchen Fällen bewirkt die Veränderung, daß sie schlecht werden. Das ist der Grund, warum ich dich nicht sehen will. Und das ist der Grund, warum ich nicht zu dir zurück will.‹
Der Cursor bleibt stehen und sucht, auf der Stelle blinkend, nach Worten. Ich fixiere ihn zehn Sekunden lang, zwanzig Sekunden lang, und warte darauf, daß er neue Worte auf dem Bildschirm erscheinen läßt. Die Veränderung bewirkt, daß sie schlecht werden?
›Ich möchte dich bitten, mich so bald wie nur irgend möglich zu vergessen. Das beste für uns beide wäre überhaupt, wenn du die Scheidungspapiere unterschreiben und ein völlig neues Leben beginnen würdest. Es spielt keine Rolle, wo ich jetzt bin oder was ich tue. Was zählt, ist nur, daß du und ich - aus welchen Gründen auch immer - bereits zu zwei völlig verschiedenen Welten gehören. Und es besteht keine Möglichkeit, daß wir je wieder zu dem werden könnten, was wir früher einmal waren. Versuche bitte zu begreifen, wie weh es mir tut, mit dir auf diese Weise »reden« zu müssen. Du kannst dir wahrscheinlich gar nicht vorstellen, wie sehr es mir das Herz zerreißt.‹
Ich lese Kumikos Worte noch mehrere Male durch. Ich kann in ihnen nicht die leiseste Spur von Unsicherheit entdecken, nichts, was darauf hindeuten würde, daß sie etwas anderem als einer abgrundtiefen, schmerzlichen Überzeugung entspringen. Sie hat sie sich wahrscheinlich schon unzählige Male, immer und immer wieder, im Kopf zurechtgelegt. Aber trotzdem muß ich einen Weg finden, diese undurchdringliche Mauer, hinter der sie sich verschanzt, zu erschüttern - sie zumindest ein wenig ins Wanken zu bringen. Ich lege die Finger wieder auf die Tasten.
›Was du sagst, ist ziemlich vage und für mich schwer zu begreifen. Du sagst, du seist »schlecht geworden«, aber was bedeutet das konkret? Ich verstehe es einfach nicht. Tomaten werden schlecht. Fisch wird schlecht. Das kann ich verstehen. Tomaten werden matschig, und Fisch fängt an zu stinken. Aber was soll das heißen, daß du »schlecht geworden« bist? Ich verbinde damit keinerlei Vorstellung. Du hast in deinem Brief geschrieben, daß du mit einem anderen Mann geschlafen hast, aber könnte dich das etwa »schlecht werden« lassen? Ja, natürlich war es ein Schock für mich. Aber es reicht doch wohl nicht ganz, um einen Menschen »schlecht werden« zu lassen, würde ich meinen.‹
Es folgt eine lange Pause. Ich fange schon an zu befürchten, Kumiko sei irgendwohin verschwunden. Dann aber beginnen ihre Buchstaben
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