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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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wieder über den Bildschirm zu rieseln.
    ›Du magst recht haben, aber es steckt noch mehr dahinter.‹
    Es folgt ein weiteres tiefes Schweigen. Sie wählt ihre Worte mit Bedacht, zieht sie eins nach dem anderen aus einer Schublade hervor.
    ›Das ist nur ein einzelner Aspekt der Sache. »Schlecht werden« ist ein Prozeß, der sich über eine längere Zeitspanne hinzieht. Es ist etwas, was im voraus, ohne mich, entschieden worden ist, irgendwo in einem stockdunklen Zimmer, von jemand anderem. Als ich dich kennenlernte und heiratete, hatte ich das Gefühl, als eröffnete sich mir mit einemmal ein ganzes Spektrum von neuen Möglichkeiten. Ich hoffte, es würde mir gelingen, durch irgendein Schlupfloch zu entfliehen. Aber es war wohl nur eine Illusion. Für alles gibt es Vorzeichen, und das ist auch der Grund, warum ich damals, als der Kater verschwunden ist, so verzweifelt versucht habe, ihn wiederzufinden.‹
    Ich starre unverwandt auf den Bildschirm, aber noch immer erscheint kein »Senden« -Zeichen. Mein Rechner ist weiterhin im Empfangsmodus. Kumiko überlegt sich ihre weiteren Worte. »S c h l e c h t werden« ist ein Prozeß, der sich über eine längere Zeitspanne hinzieht. Was versucht sie mir zu sagen? Ich konzentriere meine gesamte Aufmerksamkeit auf den Bildschirm, aber ich finde dort nichts anderes als eine Art unsichtbare Wand. Wieder sprudeln die Buchstaben los und reihen sich auf dem Bildschirm aneinander.
    ›Ich möchte, daß du nach Möglichkeit so von mir denkst: daß ich langsam an einer unheilbaren Krankheit sterbe - einer Krankheit, die bewirkt, daß sich mein Gesicht und mein Körper nach und nach zersetzen. Das ist natürlich nur ein Bild. Mein Gesicht und mein Körper zersetzen sich nicht wirklich. Aber es kommt der Wahrheit schon ziemlich nah. Und deswegen möchte ich nicht, daß du mich siehst. Ich weiß, daß eine so verschwommene Metapher nicht ausreichen wird, um dir die Situation, in der ich mich befinde, in allen Einzelheiten begreiflich zu machen. Ich rechne nicht damit, daß sie dich von der Wahrheit meiner Worte überzeugen wird. Es tut mir wirklich entsetzlich leid, aber das ist einfach die einzige Erklärung, die ich dir geben kann. Du kannst nichts anderes tun, als sie akzeptieren.‹ Eine unheilbare Krankheit.
    Ich vergewissere mich, daß ich im Übertragungsmodus bin, und fange an zu tippen.
    ›Wenn du möchtest, daß ich deine Metapher akzeptiere, von mir aus, kein Problem. Aber eines kann ich einfach nicht begreifen. Selbst einmal angenommen, du bist wirklich, wie du sagst, »schlecht geworden« und du leidest wirklich an »einer unheilbaren Krankheit«, warum mußtest du damit ausgerechnet zu Noboru Wataya gehen? Warum bist du nicht hier bei mir geblieben? Warum sind wir nicht zusammen? War nicht genau das der Zweck unserer Heirat?‹
    Schweigen. Fast spüre ich sein Gewicht und seine Härte in meinen Händen. Ich falte die Hände auf dem Schreibtisch und atme mehrmals tief ein und aus. Dann kommt die Antwort.
    ›Ich bin ganz einfach deswegen hier, weil das hier der richtige Ort für mich ist - ob’s mir paßt oder nicht. Das ist der Ort, an den ich gehöre. Ich habe keine andere Wahl, kein Recht, etwas anderes zu wollen. Selbst wenn ich dich sehen wollte, wäre es mir nicht möglich. Glaubst du etwa, ich WILL dich nicht sehen?‹
    Einen leeren Augenblick lang scheint sie den Atem anzuhalten. Dann setzen sich ihre Finger wieder in Bewegung.
    ›Quäle mich also bitte nicht weiter damit. Wenn du überhaupt etwas für mich tun kannst, dann das: vergessen, daß ich überhaupt existiere, und zwar so schnell wie möglich. Nimm diese Jahre, die wir miteinander verlebt haben, und wirf sie aus deinem Gedächtnis, als hätten sie niemals existiert. Ein für allemal: Das ist das Beste, was du tun kannst - für uns beide. Das ist meine feste Überzeugung.‹
    Darauf antworte ich:
    ›Du sagst, du willst, daß ich alles vergesse. Du sagst, du willst, daß ich dich in Ruhe lasse. Aber trotzdem höre ich, wie du mich gleichzeitig aus irgendeinem Winkel dieser Welt um Hilfe anflehst. Diese Stimme ist schwach und fern, aber in stillen Nächten kann ich sie deutlich hören. Es IST deine Stimme: ich bin mir völlig sicher. Ich kann die Tatsache akzeptieren, daß eine Kumiko mit all ihrer Macht versucht, sich von mir loszureißen, und sie mag dafür ihre Gründe haben. Aber es gibt eine andere Kumiko, und die versucht ebenso verzweifelt, zu mir zu gelangen. Das ist wirklich meine feste

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