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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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den Chinesen gehören. Wir haben schon eine ganze Menge Chinesen getötet, und ein paar Leichen mehr machen den Kohl auch nicht mehr fett. Aber Befehl ist Befehl. Ich bin Soldat, und ich muß Befehlen gehorchen. Gestern haben wir die Tiger und Leoparden getötet, und heute müssen wir diese Burschen töten. Schauen Sie also gut zu, Herr Doktor. Das ist auch eine Art zu sterben. Als Arzt sind Sie an Klingen, Blut und Gedärme wahrscheinlich gewöhnt, aber wie jemand mit einem Baseballschläger totgeschlagen wird, haben Sie bisher wahrscheinlich noch nicht gesehen.« Der Leutnant befahl dem Korporal, den Spieler mit der Nummer 4, den Spitzenschlagmann, an den Rand der Grube zu führen. Sie fesselten ihm wieder die Hände hinter dem Rücken, dann legten sie ihm eine Augenbinde an und befahlen ihm, sich auf den Boden zu knien. Er war ein großer, kräftig gebauter junger Mann mit Oberarmen von der Stärke durchschnittlicher Oberschenkel. Der Leutnant rief einen jungen Soldaten zu sich und reichte ihm den Schläger. »Töte ihn damit«, sagte er. Der junge Soldat nahm erst Haltung an und salutierte, bevor er den Schläger entgegennahm, aber nachdem er ihn mit beiden Händen gepackt hatte, blieb er nur weiter stehen, wie vor den Kopf geschlagen. Die Vorstellung, einen Chinesen mit einem Baseballschläger totzuknüppeln, schien sein Fassungsvermögen zu übersteigen.
    »Hast du schon mal Baseball gespielt?« fragte der Leutnant den jungen Soldaten (derselbe, dem später in einem Bergwerk in der Nähe von Irkutsk eine sowjetische Wache den Schädel mit einer Schaufel zertrümmern würde).
    »Nein, nie, Herr Leutnant«, erwiderte der Soldat mit lauter Stimme. Sowohl das Dorf auf Hokkaido, wo er auf die Welt gekommen war, als auch das mandschurische Dorf, in dem er aufgewachsen war, waren so arm gewesen, daß keine Familie sich den Luxus eines Baseballschlägers oder -balls hätte leisten können. Die Spiele seiner Kindheit hatten darin bestanden, über die Felder zu laufen, Libellen zu fangen und mit Stöcken zu fechten. Er hatte noch nie in seinem Leben Baseball gespielt oder auch nur einem Spiel zugesehen. Das war das erste Mal überhaupt, daß er ein Schlagholz in der Hand hielt.
    Der Leutnant zeigte ihm, wie er den Schläger halten mußte, und brachte ihm die Grundbegriffe der Schwungtechnik bei, indem er sie ihm ein paarmal vorführte. »Siehst du? Es kommt nur auf die Hüfte an«, knurrte er mit zusammengebissenen Zähnen. »Du holst aus und rotierst dann aus der Hüfte. Das Ende des Schlägers schwingt ganz von selbst durch. Kapiert? Wenn du dich zu sehr darauf konzentrierst, den Schläger zu schwingen, tun die Arme die ganze Arbeit und der Schlag hat weniger Wucht. Schwing aus der Hüfte.«
    Der Soldat schien den Ausführungen des Leutnants nicht ganz folgen zu können, aber er legte wie befohlen seine schwere Ausrüstung ab und übte eine Zeitlang das Durchschwingen. Alle schauten ihm zu. Der Leutnant legte seine Hände um die des Soldaten, um dessen Griffhaltung zu korrigieren. Er war ein guter Lehrer. Es dauerte nicht lange, und die Rundschläge des Soldaten zersäbelten, wenn auch etwas unelegant, pfeifend die Luft. Was ihm an Technik fehlte, machte der junge Soldat, der sein Leben lang auf einem Bauernhof gearbeitet hatte, durch Muskelkraft wett.
    »Das genügt wohl«, sagte der Leutnant und wischte sich mit seiner Mütze den Schweiß von der Stirn. »Also schön, sieh jetzt zu, daß du es mit einem guten, sauberen Rundschlag erledigst. Laß ihn nicht leiden.«
    Was er eigentlich sagen wollte, war: »Die Sache ist mir genauso zuwider wie dir. Wer zum Teufel ist bloß auf so eine idiotische Idee gekommen? Jemanden mit einem Baseballschläger umzubringen …« Aber ein Offizier hätte unmöglich so zu einem gemeinen Soldaten reden können.
    Der Soldat stellte sich hinter dem Chinesen auf, der mit verbundenen Augen auf der Erde kniete. Als der Soldat die Arme hob, warfen die kräftigen Strahlen der sinkenden Sonne den langen dicken Schatten des Schlägers auf die Erde. Es ist unheimlich, dachte der Tierarzt. Der Leutnant hatte recht: Ich habe noch nie gesehen, wie ein Mensch mit einem Baseballschläger getötet wird. Lange hielt der junge Soldat den Schläger in die Höhe. Der Arzt sah, wie dessen Spitze zitterte. Der Leutnant nickte dem Soldaten zu. Tief einatmend holte der Soldat aus und schmetterte dann den Schläger mit all seiner Kraft gegen den Hinterkopf des chinesischen Kadetten. Er machte seine Sache

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