Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
Vom Netzwerk:
ihren Füßen wuchsen, große Blätter ab und machten sich daran, ihre blutigen Bajonette abzuwischen. An den Klingen haftete nicht nur Blut, sondern auch seltsam gefärbte Körperflüssigkeiten und Fleischfetzen. Die Männer verbrauchten viele Blätter, ehe die Bajonette wieder in ihrem ursprünglichen nacktmetallischen Glanz erstrahlten.
    Der Tierarzt konnte nicht begreifen, warum man diesen einen Mann, Nummer 4, am Leben gelassen hatte, aber er hatte nicht vor, irgendwelche Fragen zu stellen. Der Leutnant holte sich eine weitere Zigarette heraus und steckte sie sich an. Dann bot er dem Tierarzt eine an; dieser nahm sie schweigend entgegen, steckte sie sich zwischen die Lippen und gab sich selbst mit einem Streichholz Feuer. Seine Hand zitterte nicht, aber er hatte jedes Gefühl darin verloren, als trüge er dicke Handschuhe.
    »Diese Männer waren Kadetten der Kaiserlichen Militärakademie von Mandschukuo«, sagte der Leutnant. »Sie haben sich geweigert, sich an der Verteidigung von Hsin-ching zu beteiligen. Letzte Nacht haben sie ihre japanischen Ausbilder getötet und zu fliehen versucht. Wir haben sie während der Nachtpatrouille erwischt, haben vier von ihnen an Ort und Stelle erschossen und die anderen vier gefangenommen. Zwei weitere konnten in der Dunkelheit entkommen.« Der Leutnant rieb sich mit der flachen Hand über die Bartstoppeln. »Sie hatten versucht, in Baseballkleidung zu fliehen. Vermutlich hatten sie sich gedacht, daß man sie als Deserteure festnehmen würde, wenn man sie in ihrer Militäruniform sah. Oder vielleicht befürchteten sie, daß es ihnen übel ergehen würde, wenn sie in ihren Mandschukuo-Uniformen kommunistischen Truppen in die Hände fielen. Wie auch immer, außer den Kadettenuniformen gab es in der Kaserne nichts anderes anzuziehen als die Trikots der Baseballmannschaft der Militärakademie. Also haben sie die Namensschildchen abgerissen und versucht, in dieser Kluft durchzukommen. Ich weiß nicht, ob Ihnen das bekannt ist, aber die Kadettenschule hatte eine hervorragende Mannschaft. Sie sind häufig zu Freundschaftsspielen nach Taiwan und Korea gefahren. Der Bursche da« - und hier deutete der Leutnant auf den Mann, der noch an den Baum gefesselt war - »war der Mannschaftskapitän und bester Schlagmann des Teams. Wir glauben, daß er derjenige war, der die Flucht organisiert hat. Er hat die zwei Ausbilder mit einem Schläger getötet. Die Ausbilder wußten, daß es Unruhe in der Kaserne gab, und dachten nicht daran, Waffen an die Kadetten auszugeben, außer im äußersten Notfall. Aber an die Baseballschläger haben sie nicht gedacht. Sie haben beide den Schädel eingeschlagen bekommen. Wahrscheinlich waren sie auf der Stelle tot. Zwei Homeruns wie aus dem Bilderbuch. Das ist der Schläger.« Der Leutnant befahl dem Korporal, ihm den Schläger zu bringen. Dann gab er ihn an den Tierarzt weiter. Der Arzt nahm ihn in beide Hände und hielt ihn aufrecht vor sein Gesicht, wie das ein Spieler tut, wenn er das Schlägerfeld betritt. Es war ein ganz gewöhnlicher Schläger, nicht besonders gut gearbeitet, mit rauher Oberfläche und ungleichmäßiger Maserung. Schwer war er allerdings, und gut eingespielt. Der Griff war schwarz von Schweiß. Er sah nicht wie ein Schläger aus, mit dem man letzthin zwei Menschen umgebracht hatte. Nachdem der Tierarzt einen Eindruck vom Gewicht des Dings bekommen hatte, reichte er es wieder dem Leutnant, der seinerseits ein paar sichtlich gekonnte, lockere Rundschläge ausführte.
    »Spielen Sie Baseball?« fragte der Leutnant den Tierarzt. »Als Junge andauernd.«
    »Jetzt zu erwachsen dafür?«
    »Mit Baseball ist es für mich vorbei«, sagte der Tierarzt, und er hatte schon die Frage auf der Zunge: »Und wie steht’s mit Ihnen, Herr Leutnant?«, aber er schluckte sie wieder hinunter.
    »Ich habe den Befehl, diesen Burschen mit demselben Schläger, den er benutzt hat, totzuschlagen«, sagte der Leutnant mit einer trockenen Stimme und klopfte dabei mit der Spitze des Schlägers auf den Boden. »Auge um Auge, Zahn um Zahn. Ganz im Vertrauen gesagt, halte ich das für einen schwachsinnigen Befehl. Was zum Teufel soll’s uns bringen, diese Leute zu töten? Wir haben keine Flugzeuge mehr, wir haben keine Kriegsschiffe, unsere besten Soldaten sind tot. Irgendeine besondere neuartige Bombe hat im Bruchteil einer Sekunde Hiroshima vom Erdboden ausradiert. Man wird uns entweder aus der Mandschurei hinausjagen oder uns alle umbringen, und China wird wieder

Weitere Kostenlose Bücher