Mister Aufziehvogel
mich als menschliches Geschoß opferte, indem ich mich mit einer Landmine in den Armen auf einen sowjetischen Panzer stürzte. Doch wie Herr Honda mir am Ufer des Chalcha geweissagt hatte, war es mir nicht vergönnt, so leicht den Tod zu finden. Ich verlor nur meine Hand, nicht mein Leben. Die Männer, die unter meinem Kommando standen, wurden allerdings, wie ich glaube, alle getötet. Wir mögen nur Befehle ausgeführt haben, aber es war eine dumme, selbstmörderische Aktion. Unsere kleinen tragbaren Minen hätten einem riesigen T34 ohnehin nichts anhaben können.
Die Sowjetarmee nahm sich meiner so eifrig nur darum an, weil ich im Delirium etwas auf Russisch sagte. So berichtete man mir jedenfalls später. Wie ich Ihnen schon erzählte, hatte ich mir früher Grundkenntnisse in Russisch angeeignet, und mein Posten im Generalstab ließ mir genügend freie Zeit, um meine Kenntnisse zu verbessern. Ich arbeitete hart, so daß ich mich, als der Krieg sich seinem Ende zuneigte, flüssig auf Russisch unterhalten konnte. In Hsin-ching lebten viele Weißrussen, und ich war mit ein paar russischen Kellnerinnen bekannt, ich hatte also nie Schwierigkeiten, geeignete Konversationspartner zu finden. Die russischen Worte scheinen mir ganz natürlich entschlüpft zu sein, während ich bewußtlos dalag.
Die Sowjets hatten von Anfang an geplant, jeden Japaner, den sie bei der Besetzung der Mandschurei gefangennehmen würden, nach Sibirien zu deportieren und, so wie sie es nach Ende der Kämpfe in Europa mit den deutschen Soldaten gemacht hatten, als Zwangsarbeiter einzusetzen. Die Sowjets mochten zu den Siegermächten gehören, aber ihre Ökonomie befand sich nach dem langen Krieg in einem äußerst kritischen Zustand, und der Mangel an Arbeitern machte sich überall bemerkbar. Die Rekrutierung erwachsener männlicher Arbeitskräfte in Form von Kriegsgefangenen war für sie deshalb eine wirtschaftliche Notwendigkeit von höchster Priorität. Hierzu würden sie Dolmetscher benötigen, und die Zahl der dafür in Frage kommenden Personen war äußerst begrenzt. Als sie also merkten, daß ich offenbar Russisch konnte, schafften sie mich, statt mich sterben zu lassen, ins Krankenhaus nach Tschita. Hätte ich nicht ein paar Worte auf Russisch gestammelt, hätte man mich da am Ufer des Hailar zurückgelassen, und das wäre mein Ende gewesen. Man hätte mich in einem unbezeichneten Massengrab verscharrt. Wie unbegreiflich sind die Wege des Schicksals!
Nach meiner Genesung wurde ich zermürbenden Verhören ausgesetzt und, ehe man mich als Dolmetscher in ein sibirisches Kohlenbergwerk schickte, einer mehrmonatigen ideologischen Schulung unterzogen. Ohne hinsichtlich dieser Periode ins Detail gehen zu wollen, möchte ich über meine ideologische Schulung doch Folgendes anmerken. Vor dem Krieg hatte ich als Student heimlich eine Reihe verbotener marxistischer Bücher gelesen, und ich stand der kommunistischen Theorie nicht gänzlich ablehnend gegenüber, aber ich hatte seither zuviel gesehen, um sie vorbehaltlos akzeptieren zu können. Dank meiner Zusammenarbeit mit dem Geheimdienst waren mir die jahrelangen blutigen Säuberungsaktionen, die Stalin und seine einheimischen Handlanger in der Mongolei durchgeführt hatten, sehr wohl bekannt. Seit der Revolution hatte man Zehntausende von lamaistischen Priestern, Grundbesitzern und anderen oppositionellen Kräften in Konzentrationslager geschickt und dort grausam liquidieren lassen. Und das gleiche war auch in der Sowjetunion selbst geschehen. Selbst wenn ich an die kommunistische Ideologie hätte glauben können - dem System oder den Menschen, die dafür verantwortlich waren, diese Ideologie in die Praxis umzusetzen, vermochte ich schon lange keinen Glauben mehr zu schenken. Das gleiche empfand ich in bezug auf dasjenige, was wir Japaner in der Mandschurei getan hatten. Ich bin sicher, Sie haben keine Vorstellung davon, wie viele chinesische Arbeiter beim Bau der geheimen Basis in Hailar getötet wurden - ganz bewußt getötet wurden, damit sie die geheimen Konstruktionspläne des Stützpunktes nicht verraten könnten.
Außerdem hatte ich mit angesehen, wie dieser russische Offizier und seine mongolischen Untergebenen einen Menschen auf bestialische Weise gehäutet hatten. Ich war in einen mongolischen Brunnen geworfen worden und hatte in diesem seltsamen, gleißenden Licht jede Leidenschaft für das Leben verloren. Wie hätte jemand wie ich noch an Ideologien und politische Theorien glauben
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