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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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wirklich Kumiko bin … dann müßte ich doch imstande sein, mich mit Ihnen mit Kumikos Stimme zu unterhalten. Richtig? Das kompliziert die Sache zwar ein wenig, aber hätten Sie was dagegen?«
    »Nein, ich habe nichts dagegen«, sagte ich. Wieder klang es, als hätte ich ein gewisses Maß an Gelassenheit und Realitätssinn eingebüßt. Im Dunkeln räusperte sie sich. »Also dann los. Ich bin ja neugierig, ob’s noch klappt.« Wieder vernahm ich ein kleines Lachen. »Leicht ist das aber nicht. Haben Sie’s eilig? Können Sie noch ein Weilchen bleiben?«
    »Das weiß ich eigentlich selbst nicht«, sagte ich.
    »Warten Sie, nur einen Moment. Tut mir leid. Ähem … gleich hab ich’s.« Ich wartete.
    » So. Du bist also meinetwegen hergekommen. Du wolltest mich sehen, habe ich das richtigverstanden? « ertönte Kumikos ernste Stimme aus der Dunkelheit. Ich hatte Kumikos Stimme seit jenem Sommermorgen, an dem ich ihr den Reißverschluß ihres Kleides hochgezogen hatte, nicht mehr gehört. Sie hatte hinter den Ohren ein neues Eau de Toilette getragen, Eau de Toilette von einem anderen. Sie hatte an dem Tag das Haus verlassen und war nicht wieder zurückgekommen. Ob echt oder nachgeahmt, in der Dunkelheit versetzte mich die Stimme für einen Moment wieder an jenen Morgen zurück. Ich roch das Eau de Toilette, sah die weiße Haut von Kumikos Rücken sehen. In der Dunkelheit war die Erinnerung dicht und schwer - vielleicht dichter und schwerer als in der Wirklichkeit. Ich klammerte mich fester an meine Mütze.
    »Genaugenommen bin ich nicht hergekommen, um dich zu sehen. Ich bin hergekommen, um dich zurückzuholen « , sagte ich.
    Sie stieß in der Dunkelheit einen kleinen Seufzer aus. »Warum bist du so versessen darauf, mich zurückzuholen?«
    »Weil ich dich liebe«, sagte ich. »Und ich weiß, daß du mich liebst und mich brauchst.«
    »Du scheinst dir deiner Sache ja ziemlich sicher zu sein«, sagte Kumiko - oder Kumikos Stimme. Ihr Tonfall hatte überhaupt nichts Spöttisches - aber auch keinerlei Wärme.
    Ich hörte, wie sich im Nebenzimmer der schmelzende Inhalt des Eiskübels setzte. »Ich muß allerdings noch ein paar Rätsel lösen, wenn ich dich zurückhaben will«, sagte ich.
    »Ist es nicht ein bißchen spät, um jetzt mit so was anzufangen? Ich dachte, du hast nicht so viel Zeit.«
    Sie hatte recht. Mir blieb nicht mehr viel Zeit und zuviel, worüber ich nachdenken mußte. Ich wischte mir mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Das ist wahrscheinlich meine letzte Chance, sagte ich zu mir. Ich mußte nachdenken. »Ich möchte, daß du mir hilfst«, sagte ich.
    »Ich weiß nicht«, sagte Kumikos Stimme. »Vielleicht kann ich dir gar nicht helfen. Aber ich will es gern versuchen.«
    »Die erste Frage ist, warum du mich unbedingt verlassen mußtest. Ich will den wirklichen Grund wissen. Ich weiß, was in deinem Brief stand - daß du ein Verhältnis mit einem anderen Mann hattest. Ich hab das natürlich gelesen. Und gelesen und gelesen und noch einmal gelesen. Und vermutlich kann es tatsächlich als eine Art Erklärung dienen. Aber ich kann nicht glauben, daß es der wirkliche Grund ist. Es klingt einfach nicht wahr. Ich will damit nicht sagen, daß es eine Lüge ist, aber ich kann mir nicht helfen - ich habe irgendwie das Gefühl, daß es nur so etwas wie eine Metapher ist.«
    »Eine Metapher!?« Sie klang aufrichtig schockiert. »Vielleicht bin ich etwas schwer von Begriff, aber wenn mit anderen Männern zu schlafen eine Metapher ist, dann wüßte ich gern, für was.«
    »Ich will damit nur sagen, daß es mir bloß eine Erklärung um der Erklärung willen zu sein scheint. Es führt zu nichts. Es beschreibt nur die Oberfläche. Je häufiger ich deinen Brief gelesen habe, desto stärker ist dieser Eindruck geworden. Es muß noch einen weiteren Grund geben: einen fundamentaleren - wirklicheren Grund. Und ich bin mir so gut wie sicher, daß er mit Noboru Wataya zusammenhängt.«
    Ich spürte, wie ihre Augen mich in der Dunkelheit fixierten, und mir kam der Gedanke, sie könne mich vielleicht sehen. »Mit Noboru Wataya? Wie das?« fragte Kumikos Stimme. »Na ja, ich habe eine Menge höchst verwirrender Dinge erlebt. Es sind allerlei seltsame Personen aufgetreten, und eine merkwürdige Sache nach der anderen ist passiert - das geht so weit, daß ich nicht einmal mehr imstande bin, sie im Kopf irgendwie zu ordnen. Aber aus etwas größerem Abstand betrachtet, ist der Faden, der das alles verbindet, ganz klar

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