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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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kühler vor. Ich war bei dieser Rennerei durch die Dunkelheit offenbar in Schweiß geraten und fing jetzt an, mich wieder abzukühlen. Ich erinnerte mich, daß ich unterwegs meine Jacke ausgezogen und irgendwo liegengelassen hatte.
    Wie ich versprochen hatte, schaltete ich jetzt die Taschenlampe aus und ließ sie in meine Tasche gleiten. Dann stellte ich nach Gefühl einen Whisky auf den Nachttisch und setzte mich mit dem anderen in den Sessel, der am Fußende des Bettes stand. Trotz der völligen Dunkelheit fand ich mich in dem Zimmer noch immer zurecht.
    Ich meinte, Laken rascheln zu hören. Sie richtete sich gerade im Bett auf und lehnte sich, das Whiskyglas in der Hand, an das Kopfteil. Sie schüttelte leicht das Glas, so daß die kreisenden Eiswürfel klimperten, und nahm einen Schluck. In der Dunkelheit klang das alles wie die Geräuscheffekte in einem Hörspiel. Ich sog den Duft meines Whiskys durch die Nase ein, aber ich trank nicht. »Es ist lange her«, sagte ich. Meine Stimme klang jetzt ein wenig mehr wie meine eigene.
    »Wirklich?« sagte sie. »Ich weiß nicht genau, was das heißt: ›lange‹ oder ›lange her‹.«
    »Soweit ich mich erinnere, ist es genau ein Jahr und fünf Monate her«, sagte ich. »So, so«, sagte sie, nicht weiter beeindruckt. »Ich erinnere mich eher … undeutlich.«
    Ich stellte mein Glas auf den Boden und schlug die Beine übereinander. »Letztesmal waren Sie nicht hier, oder?«
    »Doch, natürlich. Genau hier. Im Bett. Ich bin immer hier.«
    »Aber ich bin mir sicher, daß ich in Zimmer 208 war. Das hier ist doch Zimmer 208, oder?«
    Sie schwenkte das Eis in ihrem Glas und stieß ein kleines Lachen aus. »Und ich bin sicher, daß Sie sich nicht so sicher waren. Sie waren in einem anderen Zimmer 208, so viel ist sicher.«
    Ich hörte ein gewisses Schwanken in ihrer Stimme, was mir ein leicht unbehagliches Gefühl bereitete. Vielleicht begann sich die Wirkung des Alkohols bei ihr bemerkbar zu machen. Ich streifte meine Wollmütze ab und legte sie mir aufs Knie. Ich sagte zu ihr: »Die Telefonleitung war übrigens tot.«
    »Ja, ich weiß«, sagte sie in leicht resigniertem Ton. » Sie haben sie unterbrochen. Sie wußten, wie gern ich immer Leute angerufen habe.«
    »Sind sie die Leute, die Sie hier festhalten?«
    »Hmm, sind sie’s? Ich weiß auch nicht genau«, sagte sie und lachte auf. Die Erschütterung der Luft ließ ihre Stimme leicht erzittern.
    Ich sah in ihre Richtung und sagte: »Ich denke schon sehr lange über Sie nach. Seit ich das letztemal hiergewesen bin. Ich denke darüber nach, wer Sie sind und was Sie hier tun.«
    »Klingt ja richtig unterhaltsam«, sagte sie.
    »Ich habe mir die verschiedensten Möglichkeiten überlegt, aber ich bin bislang noch zu keinem Ergebnis gekommen. Ich lasse meiner Phantasie im Moment noch freien Lauf.«
    »So, so«, sagte sie, als wäre sie beeindruckt. »Sie sind also bislang noch zu keinem Ergebnis gekommen und lassen Ihrer Phantasie noch freien Lauf.«
    »So ist es«, sagte ich. »Und ich kann Ihnen gleich noch etwas sagen: Ich glaube, daß Sie Kumiko sind. Zuerst war mir das nicht klar, aber mittlerweile bin ich immer mehr davon überzeugt.«
    »Ach, wirklich? « sagte sie nach einer kaum merklichen Pause amüsiert. »Ich bin also Kumiko, richtig?«
    Für einen Augenblick verlor ich jede Orientierung, als sei alles, was ich tat, irgendwie daneben: Ich war zum falschen Ort gekommen, um der falschen Person die falschen Dinge zu sagen. Es war alles reine Zeitvergeudung, ein sinnloser Umweg. Aber ich schaffte es, mich im Dunkeln wieder ins Gleis zu bringen. Um die Wirklichkeit in den Griff zu bekommen, preßte ich die Hände auf die Mütze in meinem Schoß.
    »Ja, ich glaube, Sie sind Kumiko. Denn dann passen alle möglichen Steinchen auf einmal zusammen und ergeben einen Sinn. Sie haben mich immer wieder von hier aus angerufen. Sie haben versucht, mir irgendein Geheimnis mitzuteilen. Ein Geheimnis Kumikos. Ein Geheimnis, das die wirkliche Kumiko in der wirklichen Welt nicht über sich bringen konnte, mir zu verraten. Also müssen Sie es für sie getan haben - auf verschlüsselte Weise, wie durch einen Geheimkode.« Eine Zeitlang sagte sie nichts. Sie führte das Glas an die Lippen, nahm einen weiteren Schluck und sagte dann: »Ich weiß nicht. Aber wenn Sie so davon überzeugt sind, dann stimmt’s ja vielleicht. Vielleicht bin ich wirklich Kumiko. Aber sicher bin ich mir da nicht. Na also schön, wenn es stimmt … wenn ich

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