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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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und zog mich wie einen Schleppkahn auf einem verschlungenen Kurs. Schließlich blieb er ohne jede Vorwarnung vor einer Tür stehen. Ich knallte von hinten so gegen ihn, daß er fast umgefallen wäre. Beim Zusammenprall hatte sich sein Fleisch seltsam leicht und luftig angefühlt, als sei ich gegen die hohle Chitinhülse einer Zikade gestoßen. Er richtete sich rasch wieder auf und leuchtete mit seiner Taschenlampe auf die Zahl an der Tür: 208.
    »Die Tür ist nicht verschlossen«, sagte der Mann. »Nehmen Sie die Taschenlampe hier mit. Ich finde auch im Dunkeln zurück. Schließen Sie die Tür ab, sobald Sie drinnen sind, und machen Sie niemandem auf. Was immer Sie da drin zu tun haben, bringen Sie es schnell hinter sich und gehen Sie wieder dahin zurück, wo Sie hergekommen sind. Dieser Ort ist gefährlich. Sie sind hier ein Eindringling, und ich bin der einzige, der auf Ihrer Seite steht. Vergessen Sie das nicht.«
    »Wer sind Sie?« fragte ich.
    Der gesichtslose Mann reichte mir die Taschenlampe, als gebe er einen Staffelstab weiter. »Ich bin der hohle Mann«, sagte er. Das gesichtslose Gesicht mir zugewandt, wartete er in der Dunkelheit darauf, daß ich etwas sagte, aber ich konnte nicht die richtigen Worte finden. Schließlich verschwand er ohne einen weiteren Ton. In der einen Sekunde stand er direkt vor mir, und in der nächsten war er in der Dunkelheit verschwunden. Ich richtete den Lichtstrahl in seine Richtung, aber lediglich die stumpfweiße Wand tauchte aus der Dunkelheit auf.
    Wie der Mann gesagt hatte, war die Tür von Zimmer 208 nicht abgeschlossen. Der Knauf drehte sich geräuschlos herum. Ich schaltete zur Sicherheit die Taschenlampe aus und trat dann so leise wie möglich ein. Wie zuvor herrschte im Zimmer völlige Stille, und ich konnte auch keinerlei Bewegung wahrnehmen. Nur das leise Knistern von schmelzenden Eiswürfeln, die sich im Kübel bewegten. Ich knipste die Taschenlampe an und drehte mich um, um die Tür abzuschließen. Das trockene metallische Einschnappen des Schlosses kam mir unnatürlich laut vor. Auf dem Tisch, in der Mitte des Zimmers, standen die ungeöffnete Flasche Cutty Sark, saubere Gläser und der Kübel voll frischem Eis. Das silberfarbene Tablett warf den Strahl der Taschenlampe mit einem sinnlichen Schimmer zurück, als habe es schon sehr lang da, neben der Vase, auf mich gewartet. Wie als Reaktion darauf wurde der Geruch des Blumenpollens einen Augen blicklang intensiver. Die Luft, die mich umgab, verdichtete sich, und der Sog der Schwerkraft schien stärker zu werden. Den Rücken gegen die Tür, beobachtete ich die Bewegung, die sich rings um mich herum im Strahl der Taschenlampe ereignete.
    Dieser Ort ist gefährlich. Sie sind hier ein Eindringling, und ich bin der einzige, der auf Ihrer Seite steht. Vergessen Sie das nicht.
    »Leuchten Sie mich nicht an«, sagte eine Frauenstimme aus dem hinteren Zimmer. »Versprechen Sie, mich nicht anzuleuchten?«
    »Ich verspreche es«, sagte ich.

34
    D AS LICHT EINES GLÜHWÜRMCHENS
    DEN BANN BRECHEN
    EINE WELT, IN DER MORGENS
    DIE WECKER KLINGELN
     
    »Ich verspreche es«, sagte ich, aber meine Stimme klang irgendwie künstlich, wie wenn man sich selbst auf Band sprechen hört.
    »Ich will hören, wie Sie es sagen: daß Sie mich nicht anleuchten werden.«
    »Ich werde Sie nicht anleuchten. Das verspreche ich.«
    »Versprechen Sie es mir wirklich? Sagen Sie auch die Wahrheit?«
    »Ich sage Ihnen die Wahrheit. Ich werde mein Versprechen nicht brechen.«
    »Na schön, also, worum ich Sie jetzt wirklich bitten möchte: Wären Sie so nett, zwei Whisky on the rocks einzuschenken und damit herzukommen? Viel Eis, bitte.« Sie sprach mit dem Anflug eines neckischen, backfischhaften Lispelns, aber die Stimme selbst gehörte einer reifen sinnlichen Frau. Ich legte die Miniaturtaschenlampe auf den Tisch, und nachdem ich einen Augenblick innegehalten hatte, um meine Atmung zu beruhigen, machte ich mich daran, bei dieser dürftigen Beleuchtung die zwei Whiskys einzuschenken. Ich brach den Verschluß der Cutty-Sark-Flasche auf, füllte mit Hilfe einer Zange die zwei Gläser mit Eiswürfeln und goß dann Whisky darüber. Ich mußte mir jede einzelne Handlung, die meine Hände verrichteten, bewußt vornehmen. Bei jeder Bewegung tanzten große Schatten über die Wand.
    Die zwei Whiskys in der rechten Hand, hielt ich mit der linken die Taschenlampe auf den Boden gerichtet und folgte dem Lichtfleck ins hintere Zimmer. Die Luft kam mir jetzt etwas

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